Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
tauchten aus dem Nichts auf und pickten sie vom Boden. »Nicht Sie, Mr Forrest.« Sie bedeutete ihm mit der Hand, dass er nicht erwünscht sei. »Ich habe den Verdacht, dass das Problem nicht bei Ihnen liegt.« Sie gab ein herzhaft gackerndes Lachen von sich und musterte ihn herausfordernd.
Madeleine musste sich in einem winzigen Zimmer auf ein Bett legen. Die Mulattin brachte drei Tabletts mit Kräutern und stellte sie auf einen kleinen Altar. Esperanza setzte sich auf einen Hocker davor, und die Mulattin nahm neben ihr Platz. Sie unterhielten sich auf Yoruba, was Madeleine nicht verstand. Die Curandera schien ihre Kenntnisse an das Mädchen weiterzugeben. Von Zeit zu Zeit warfen sie einen kurzen Blick auf Madeleine, dann sprachen sie wieder leise miteinander. Schließlich nahm das Mädchen einen üppigen Bund Kräuter, teilte ihn und umfasste die Stängel mit der Hand. Dann stand sie auf, lehnte sich mit geschlossenen Augen über Madeleines Unterleib und machte mit den Kräutern schwingende Bewegungen. Sie schien nicht mehr aufhören zu wollen. Madeleine begann sich schwindlig zu fühlen, ihr war übel, als hätte sie einen Liter Cuba Libre auf leeren Magen getrunken. Endlich hievte Esperanza ihre Leibesfülle vom Hocker und näherte sich Madeleine. Sie hatte eine große Zigarre vom Altar mitgebracht, entzündete sie und blies kleine Rauchwolken über Madeleines Körper. Plötzlich hielt sie inne. »Was ist denn das?« Sie strich mit der Hand über Madeleine. »Du hast schon ein Kind in deinem Schoß gehabt.«
»Ja«, flüsterte Madeleine, erschreckt vom Zorn in Esperanzas Stimme. »Ich hätte es dir sagen sollen. Ich habe einmal ein Kind gehabt, aber ich möchte unbedingt noch ein zweites.«
»Das geht nicht«, sagte Esperanza. »Da ist ein Hindernis.«
Die Mulattin hielt inne und verließ das Zimmer.
»Was soll das heißen, Hindernis?«
Esperanza warf die Hände vor Ärger in die Luft. »Ein Hindernis, nicht mehr und nicht weniger. Erwarte nicht, dass ich so kunstvolle Worte dafür habe wie die Leute im Krankenhaus. Du wirst aller Wahrscheinlichkeit nicht wieder schwanger werden, chiquilla. Es soll nicht sein.«
Tröstende Worte hatte Esperanza keine. Vielleicht ahnte sie, wie Madeleine das erste Kind verloren hatte, und war verärgert, dass die junge Frau mit der Wahrheit hinter dem Berg gehalten hatte. Sie versetzte Forrest einen Klaps auf den Hintern und empfahl ihm, positiv zu denken. Von jetzt an könnten sie sich nur um des Vergnügens willen lieben. Dann knöpfte sie dem Paar zehn Dollar ab und riet ihnen, auszugehen und sich zu betrinken.
Beim Verlassen von Esperanzas Haus kämpfte Madeleine mit den Tränen.
»Wir haben einander, Liebes«, tröstete Forrest sie, während sie Arm in Arm in der glühenden Nachmittagshitze die Straße hinuntergingen. »Du bist alles, was ich brauche. Wir können uns Katzen, Hunde, Papageien, Hühner und Ameisen zulegen, was immer du willst. Oder wir adoptieren ein Kind.«
Ihr fiel es jedoch schwer, tapfer zu sein. Sie würde nie wieder eine zweite Chance haben. Die Curandera hatte sie endgültig davon überzeugt.
»Eines Tages finden wir Mikaela, auch wenn wir schon alt sein sollten«, wollte Forrest sie trösten und wischte ihr sanft die Tränen von den Wangen. »Wir halten weiter nach ihr Ausschau und geben die Hoffnung nicht auf.«
»Sie ist erst zwölf. Es ist noch zu früh, um sie zu suchen oder zu hoffen.«
Mikaela war zwölf! Zur Feier ihres Geburtstags hatten sie das Hausboot mit Ballons geschmückt und einen Berg Eis verzehrt. Wie jedes Jahr hatten sie ein Geschenk in eine Kiste gelegt, die sie ihr eines Tages auf einer Riesenparty zu überreichen hofften. Zwölf war ein schwieriges Alter für Mädchen, eine Zeit, da sie weder Kind noch Frau waren. Madeleine glaubte nicht, dass ihr sechster Sinn besonders gut ausgeprägt war, aber sie spürte, dass ihre Tochter unglücklich war. Seit mehreren Wochen schon war Madeleine nervös gewesen und hatte schlecht geschlafen, weil sie nachts aufwachte und an ihre Tochter denken musste.
»Leben wir also im Hier und Heute«, sagte Forrest, deutlich erleichtert, dass er Esperanzas unheimlicher Höhle entkommen war. »Folgen wir dem Rat der weisen Frau.« Er küsste sie auf den Nacken und kitzelte sie in der Taille, um sie aufzumuntern. »Wir gehen aus und betrinken uns sinnlos.«
***
Unsanft holte das Telefon Madeleine aus ihren Tagträumen.
Sie nahm den Hörer ab. »Okay, Sylvia, schick sie herein.«
»Es geht
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