Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
…« Esperanza zuckte mit den Schultern. »Die ist ihr bis auf den heutigen Tag böse. Aber was konnte sie schon groß machen? Sie sitzt auf Kuba fest und hat auch kein Verlangen, es zu verlassen.«
»Das habe ich alles nicht gewusst«, staunte Madeleine. »Du kennst meine Großmutter? Was für ein Mensch ist sie?«
»Deine Großmutter, Magdalena, ist eine sehr mächtige Santera. Sie hat den fünften Rang erreicht, und man hat ihr das Pinaldo, das Opfermesser, verliehen. Es bedeutet eine enorme Ehre, höher kann eine Frau nicht aufsteigen.« Esperanza legte eine Pause ein und schaute mit grimmigem Gesicht zur Decke. »Sie behauptet, dass deine Mutter es ihr gestohlen hat, um damit die Kubaner in Florida zu beeindrucken. Es war eine gefährliche Tat … und deshalb ist sie nun krank, unschädlich gemacht in einem fernen Land.«
Schockiert sah Madeleine Esperanza an. Das Opfermesser war gestohlen? Mama hatte es sich gar nicht verdient, wie sie so oft behauptet hatte? Sie sah zu Forrest hinüber, der große Augen machte und von der riesigen Frau sowie von dem, was sie über seine erschreckende Schwiegermutter erzählte, fasziniert war.
»Willst du damit sagen, dass meine Mutter in Wahrheit gar keine Santera ist?«
Esperanza wiegte sich hin und her, als sei die Frage zu schwierig. »Deine Mutter verfügt über ungewöhnliche Gaben, und damit hat sie sich aus der Affäre gezogen. Aber einen dicken Gringo mit viel Geld zu heiraten, kann dazu führen, dass eine Frau die Bescheidenheit verliert – wenn du verstehst, was ich meine. Sie ist viele Risiken eingegangen. Stets hat sie sich auf ihren sechsten Sinn verlassen, wenn sie sich an Dinge gewagt hat, denen sie nicht gewachsen war. Eine gefährliche Mischung.«
Vieles von dem, was Esperanza ausplauderte, hatte Madeleine bereits geahnt, dennoch war sie verlegen, dass Forrest es hörte. »Erzähle mir noch etwas über meine Großmutter, Esperanza. Meinst du, dass ich sie jemals kennenlerne?«
Esperanza zog die Schultern hoch. »So alt, wie sie ist, wird sie Kuba nicht mehr verlassen. Amerika hasst sie wie die Pest. Sie war ihr Lebtag eine tyrannische Frau und ist es wahrscheinlich noch heute. Es heißt sogar, dass sie ihren Mann verzaubert hat, als er für eine Sängerin entbrannte und sich mit ihr davonmachte. In einem Kamm fand deine Großmutter Haare von ihm. Sie nahm ein paar von ihren eigenen und knüpfte daraus ein Armband. Neun Tage trug sie es um ihr rechtes Handgelenk, um ihn durch ihre Willensstärke zu sich zurückzuziehen. Ihre Eifersucht war jedoch so heftig, dass der Zauber ihn krank machte. Dein Großvater starb, weil in seinen Lenden große Knoten wucherten. Niemand konnte ihm helfen. Noch nicht einmal seine Frau, die seine Krankheit doch ausgelöst haben soll.«
Die Mulattin erschien mit Kaffee und Gebäck, und sie nahmen beides zu sich, während die Vögel ihr ohrenbetäubendes Konzert zum Besten gaben. Madeleine blieben die kleinen trockenen Kuchen in der Kehle stecken. Sie trank schweigend ihren Kaffee, zu tief erschüttert über das, was sie gehört hatte, um höfliche Konversation zu machen.
Plötzlich fixierte Esperanza das junge Paar mit ihren glänzenden Knopfäuglein. »Und was führt euch zu mir?«, wollte sie wissen.
Madeleine und Forrest sahen einander an. Sie hatten eine Reihe Tests und Untersuchungen machen lassen, und man hatte ihnen zu verstehen gegeben, dass eine Schwangerschaft Madeleines eher unwahrscheinlich sein würde, weil die Infektion nach der Geburt Mikaelas zu Vernarbungen geführt habe. Der Arzt hatte jedoch hinzugefügt: »Mit Sicherheit wissen kann man dergleichen Dinge allerdings nie, probieren Sie es weiter.« Forrest hatte Madeleines Vorschlag, zu Esperanza zu gehen, zwar mit einem Lachen aufgenommen, dennoch hatte er zugestimmt, dass sie nichts unversucht lassen sollten.
»Forrest und ich sind seit sieben Jahren verheiratet, Esperanza.« Madeleine machte eine bedeutsame Pause. »Sieben Jahre.«
Die alte Frau sah sie eine Weile gedankenverloren an. Madeleine empfand ihre stille Musterung als körperlich unangenehm und konzentrierte sich auf eine große Ameise, die an einem Farnblatt in die Höhe krabbelte. Es ärgerte sie, dass sie sich nicht an den Namen dieser Ameisenart erinnern konnte, die nichts aus der Ruhe brachte und deren Nest sie erst kürzlich im Garten einer Freundin untersucht hatte.
»Sehen wir, was da zu machen ist.« Esperanza stand auf und schüttelte die Krümel von ihrem Kleid. Winzige Vögel
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