Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
durch die Mangel gedreht, John. Wie geht es dem armen Angus?«
»Er kann sich kaum noch rühren. Nun ist eine Operation im Gespräch.«
»Eine Operation?« So blass und müde hatte sie John noch nie erlebt. Sie machte sich Vorwürfe, dass sie sich so wenig um ihn gekümmert hatte.
»Und die Prognose, wie lautet die?«
»Nicht gut, Madeleine. Man hat uns einen Kerl ins Haus geschickt, der uns über Rollstühle aufklären sollte, nicht kurzfristig, sondern auf Dauer. Immerhin ist es erstaunlich, was man mit den Dingern heutzutage alles machen kann. Die können dir sozusagen den Hintern abwischen und auch noch eine Gutenachtgeschichte vorlesen.«
»John, wie schrecklich.«
John rutschte noch tiefer in den Sessel. »Es ist die Bandscheibe. Sie hat sich praktisch aufgelöst.«
Sie sah ihn fragend an. »Was bedeutet es für dich … ich meine, für deine Zukunft?«
Er erwiderte achselzuckend ihren Blick. »Ich liebe den aufgeblasenen alten Arsch«, sagte er schlicht.
Sie lächelte. »Es tut wirklich gut, das zu hören.« Sie meinte es ernst. Sie war sogar zutiefst beeindruckt, dass es so aufrichtige und selbstlose Gefühle tatsächlich gab. »Angus ist ein Glückspilz.«
John breitete hilflos die Hände aus. »Das würde ich ihm wünschen! Und wie geht es dir, Madeleine? Du weißt schon … die Geschichte mit deiner Tochter?«
»Ach, das war ein Reinfall. Du hattest natürlich recht, ich bin zu früh losgeprescht – nicht das erste Mal.«
»Schade.« John lehnte sich vor und nahm ihre Hand. »Hast du schon jemanden, mit dem du darüber reden kannst? Ich hoffe es inständig. Wenn nicht, finde ich jemanden für dich.«
»Du hast mit Sicherheit recht. Ich muss mich um die Geister aus meiner Vergangenheit kümmern, ein für alle Mal.«
John setzte die Brille ab und rieb sich die Augen. »Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Ich bin mit diesem Blitz aus heiterem Himmel nicht gut fertig geworden. Ich habe mich verletzt gefühlt. Ich hatte mir eingebildet, wir hätten absolutes Vertrauen zueinander. Und ich weiß, dass ich nicht für dich da war.«
»Zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Du hast viel größere Sorgen als ich.« Sie zögerte. Es war vielleicht der richtige Augenblick, es ihm zu sagen. »John. Ich spiele mit dem Gedanken, mich ganz aus der Psychotherapie zurückzuziehen.«
Er warf ihr einen scharfen Blick zu. »Nein! Tu das ja nicht.« Er schien ehrlich entsetzt zu sein. »Ich verstehe, dass du eine Pause brauchst. Mach um Himmels willen Urlaub.«
»Es geht nicht um Urlaub. Ich bin nicht so gut für den Beruf geeignet, wie ich annahm.«
John ließ ihre Hand los und gab ihr einen leichten Klaps. »Unsinn, Madeleine. Das kannst du selbst gar nicht beurteilen. Jeder …«
»Doch, das kann ich sehr wohl«, fiel sie ihm heftig ins Wort. »Und ich bin völlig unangemessen mit dieser lächerlichen Spinnerei umgegangen.«
»Ach was, Madeleine. Wie hättest du dich denn sonst verhalten sollen? Du darfst nicht aufgeben. Du bist eine der Besten, die wir hier haben. Du brauchst nur ein wenig von deiner eigenen Medizin: einen guten Therapeuten und eine längere Pause, sonst nichts.«
»Es ist ein Bauchgefühl. Ich habe den Verdacht, dass ich den falschen Beruf gewählt habe.«
»Und was wird aus mir?«, fragte John flehend. »Kann ich dich nicht halten?«
»Wir bleiben Freunde. Wir müssen nur eine neue Partnerin für dich finden. Die Praxis läuft hervorragend, die Lage ist großartig. Es dürfte ein Kinderspiel sein.«
»Ich will aber keine andere Partnerin«, rief er. »Um Himmels willen, Madeleine, nun überstürze ja nichts. Lass dir Zeit. Du handelst …«
Das Telefon unterbrach ihn. »Das dürfte meine Patientin sein«, sagte Madeleine.
»Diese Unterhaltung ist noch nicht beendet.« John stand auf und hielt sie eine Weile im Arm. An der Tür drehte er sich zu ihr um: »Warum verbringst du nicht ein Wochenende im Cottage? Denk mal so richtig gründlich nach, weit weg vom Ursprung allen Übels … Und bei der Gelegenheit kannst du auch gleich lüften und die Blumenbeete wässern. Angus schafft die Autofahrt nicht mehr.«
»Ja, das wäre eine Idee. Mal sehen. Danke für das Angebot«, sagte Madeleine mit einem matten Lächeln und blickte hinter John her, der seinen massigen Körper durch die Tür schob.
Ihre Hand schwebte eine Weile über dem Telefon, ohne dass sie abnahm. Bei dem Gedanken an das öde Gejammer von Mrs Hartley-Wood fühlte sie sich völlig ausgelaugt. Endlich nahm sie doch
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