Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
solche Gefälligkeit bitten können.
»Wann kann ich dir Sascha bringen? Ich will ihn nicht mehr bei mir haben. Uri wird sich bestimmt bald fragen …«
»Wann du willst.« Madeleine setzte sich wieder zu ihr. »Rachel. Was war übrigens mit dem Pass, der zu mir geschickt wurde? Wem hast du meine Adresse gegeben?«
»Das Mädchen, dem ich sie gegeben habe, hatte keine Ahnung, wer du bist, und Anton hat mir gegenüber behauptet, sie habe die Adresse weggeworfen. Sie dürfte bitter dafür gebüßt haben. Das tut mir leid. Sie konnte Uri und Anton nur deinen Vornamen nennen, und angesichts dessen, was sie auf den Umschlag geschrieben hat, stimmte noch nicht einmal der.«
»Hast du jemandem gegenüber erwähnt, dass du eine Therapie machst? Kann man eine Verbindung zwischen uns herstellen?«
»Verdammt, nein. Das hab ich doch nicht an die große Glocke gehängt.« Sie stand auf. »Ich muss jetzt gehen. Ich kann Sascha nicht länger mit Charlene alleine lassen. Ich muss mir das Mädchen irgendwie vom Hals schaffen. Wegjagen. Schade. Sie ist nett.«
»Rachel, du solltest Sascha vorbereiten. Er kennt mich nicht. Überlege dir, wie du es ihm beibringst.«
»Ja, natürlich … Ach du mein Gott, fast hätte ich den Pass vergessen.« Sie holte ihn aus der Hosentasche und reichte ihn Madeleine. Ihre Hände berührten sich kurz. »Pass gut auf meinen Jungen auf. Ich bringe ihn dir morgen. Und verlasse das Land bitte so bald wie möglich.«
Madeleine legte den Pass auf den Dielentisch.
»Warte noch einen Moment, Rachel.«
Sie zog die Halskette, die sie trug, über den Kopf. Nachdem sie den Flakon mit den Knochen ihrer Ahnen in die Hosentasche gesteckt hatte, hielt sie Rachel das Kruzifix hin. »Ich möchte dir das hier geben. Es wurde von einer Generation zur nächsten weitergereicht, und die meisten Frauen, denen es gehörte, waren sehr weise. Eines Tages erzähle ich dir, mit welcher besonderen Kraft es ausgestattet ist. Bis dahin wird es dich vor allem Bösen beschützen. Du wirst es brauchen, nimm es also bitte. Trage es, Rachel, und lege es niemals ab.«
Der Spaziergang zu Harrods dauerte eine Ewigkeit. Neville war entschlossen, mit Nachdruck die Rolle des alten Mannes zu spielen. Er hing mit seinem ganzen Gewicht an Madeleines Arm. Elizabeth hatte eine finnische Matrone engagiert, die sich um seine Bedürfnisse kümmern sollte. Madeleine war überrascht, dass er die Frau zu mögen schien. Sie war devot, ließ sich aber nicht von ihm auf der Nase herumtanzen, was Nevilles kindlichen Bedürfnissen entgegenkam. Er rief Madeleine nicht mehr jeden Tag an, und das war mit Sicherheit ein gutes Zeichen. Die Tiraden, die er von Zeit zu Zeit losließ, hörte sie mit aller ihr zur Verfügung stehenden Sympathie an. Es blieben ihr nur zwei Stunden, um ihn dazu zu bringen, zur Abwechslung einmal ihr zuzuhören.
Die Sonne brannte vom Himmel, und ein leichter Geruch nach städtischer Kanalisation lag in der Luft. Neville lehnte es ab, den Beauchamp Place entlangzugehen, weil es ihm etwas ausmachte, dass er die Leute in den Cafés nicht mehr mustern und die Gemälde in den Schaufenstern der Galerien nicht mehr kritisieren konnte. Harrods sei etwas anderes, versicherte er ihr. Dort zögen ihn die Gerüche an, der gemahlene Kaffee, die Parfums, die Blumen, die üppigen Aromen der Lebensmittelabteilungen, die Gewürze, Kräuter, Schokolade und das frisch gebackene Brot. Seine Sehkraft versiegte, aber seine anderen Sinne schärften sich. Madeleine war froh, dass es bei all seinem Elend wenigsten diesen einen positiven Aspekt gab.
Sie wählten also eine andere Route, umrundeten den kleinen Park von Hans Place und gingen Schritt um Schritt die Hans Road hinauf.
»Stimmt mit deinen Beinen etwas nicht?«, fragte Madeleine.
Neville blieb stehen und starrte nach vorn. »Ich bin verdammt noch einmal blind, verstanden? Wenn du dir das bitte merken würdest.«
»War nur so eine Frage«, seufzte Madeleine unhörbar. Sie wollte gerade vorschlagen, dass vielleicht ein weißer Stock nützlich wäre, und sei es nur zu seiner Sicherheit, aber dann machte sie sich klar, was für einen Sturm der Entrüstung ein solches Ansinnen bei ihrem Vater auslösen würde.
Sie betraten das Kaufhaus durch die Abteilungen der Back- und Süßwaren und ließen sich danach von ihren Nasen leiten. Neville kannte den Weg, und hier hatte er keine Probleme mit seinem Image. Er ließ ihren Arm los, schritt aufrecht voran, seine eindrucksvolle Körperfülle segelte
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