Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
oder gebraucht, darauf kam es nicht mehr an. In Bath gab es jede Menge Abhängige, sie würde mit einem reden müssen und einen Dealer finden. Der Rest war ein Kinderspiel, sie hatte schon oft gesehen, wie man es macht. Man erhitzte das Ganze mit ein oder zwei Tropfen Zitronensaft und Wasser, zog es durch ein Stück Zigarettenfilter in die Spritze und gab sich dann den Schuss.
Und dennoch. Nach den endlosen Entsetzlichkeiten, die sie von den beiden Brüdern hatte ertragen müssen, und nachdem sie den Alptraum durchgestanden hatte, einen von ihnen zu beseitigen – sollte sie da wirklich den anderen über ihr Leben bestimmen lassen? Dann hätten die beiden schließlich doch noch gewonnen, hätten ihr alles genommen! Nein, das durfte nicht geschehen. Sie musste für Sascha da sein. Selbst wenn es Sascha in der Ferne besser ging, wenn er dort sicherer und glücklicher war, konnte es doch sein, dass er sie noch brauchte, und dafür musste sie am Leben bleiben.
In ihrem Kopf stieg die Erinnerung an etwas auf, was Madeleine einmal in einer ihrer Therapiesitzungen gesagt hatte. Nicht nur Sascha brauchte Schutz … nicht nur ihr Sohn war kostbar und wichtig – sie zählte ebenfalls. Der Gedanke machte Sinn. Schließlich war sie ein menschliches Wesen.
Sie lag gerade auf dem Sofa und las Zen in der Selbstverteidigung, ein Handbuch über Kampftechniken, das von einem Idioten geschrieben zu sein schien, der noch nie in seinem Leben angegriffen worden war, als es läutete. Ihre Muskeln zogen sich krampfartig zusammen, als hätte sie der Blitz getroffen. Sie sprang auf und blickte sich unwillkürlich nach einem Versteck um. Sie biss sich fest in die Hand, um ihre Nerven zu beruhigen, und wiederholte fieberhaft den Plan, den sie sich zurechtgelegt hatte. Was würde sie tun, was sagen? Sie versteckte das Buch unter dem Sofa und ging die Treppe hinunter. Ihre Gedanken beschleunigten sich, und sie versuchte, ihrem Gesicht einen gleichzeitig erschreckten und hoffnungsvollen Ausdruck zu geben. Sie hatte ihre Fragen in Gedanken oft genug wiederholt: »Hast du sie gefunden?«
»Hast du von ihnen gehört?«
»Wann kommen sie zurück?«
Sie riss die Tür auf und ihr fiel die Kinnlade herunter. Nicht Uri oder seine Handlanger, sondern Charlene stand vor der Tür.
Die beiden Frauen starrten einander an und brachten kein Wort hervor. Charlene war verdutzt, dass Rachel die Tür mit wildem Blick aufgerissen hatte und nun so erregt vor ihr stand, dass ihr die Hände zitterten. Rachel begriff nicht, wieso ihr ehemaliger Babysitter plötzlich auf ihrer Schwelle stand.
»Hallo, Rachel«, sagte Charlene schließlich. »Darf ich reinkommen?«
»Herr im Himmel, Charlene. Klar, aber nur auf einen Augenblick.«
Es musste schnell gehen. Sie konnte nicht riskieren, Charlene im Haus zu haben. Sie schickte das Mädchen die Treppe hinauf in die Küche. Charlene setzte sich an den Tisch, während Rachel den Wasserkocher anstellte und zwei Becher vom Ablaufbrett nahm.
»Ich weiß, dass du deine Ruhe haben möchtest«, sagte das Mädchen leise. »Aber ich habe euch seit Wochen nicht mehr gesehen, und ich dachte, du brauchst eventuell …«
»Sascha wohnt jetzt mit seinem Dad in der Ukraine«, fiel Rachel ihr ins Wort.
Charlene sah sie scharf an.
»Ach ja?«, fragte sie völlig ungläubig. »Und du kannst damit leben?«
»Sascha ist verrückt nach seinem Dad. Er wollte bei ihm sein.«
Charlene grinste. »Und du hast keinen Zweifel, dass es nichts mit dem Kerl zu tun hat?«
Rachel sah sie verunsichert an. »Mit welchem Kerl?«
»Mit dem du die Nacht verbracht hast, als du mich und Sascha in das miese B&B abgeschoben hast.«
Rachel kniff die Lippen zusammen. Sie würde besser aufpassen müssen und ihren Verstand zusammennehmen. Ein falscher Schritt, einmal nicht aufgepasst, und ihr ganzes Lügengebäude würde in sich zusammenfallen. »Ach, den Kerl meinst du! Herrgott, nein, den sehe ich nur ab und zu. Es war nichts Ernstes.«
Charlene sah besorgt aus. »Und es macht dir gar nichts aus? Dass Sascha weg ist?«
»Prächtig geht es mir nicht gerade«, räumte Rachel ein. Ungeduldig wartete sie darauf, dass das Wasser kochte. »Aber Sascha wollte unbedingt bei seinem Dad wohnen.«
»Tatsächlich?«
»Ja, tatsächlich«, fauchte sie immer nervöser. Sie entnahm der Packung im Regal zwei Teebeutel und warf sie in die Becher.
»Es wäre mir nie im Traum eingefallen, dass du Sascha aus den Augen lässt. Ich finde, kleine Kinder sollten bei ihrer
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