Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
seinen Strohhut aufsetzen, zur Ruhe kommen, in seinem Atelier malen, verrückt nach Mama sein und stolz vor seinen Freunden mit ihr angeben. Sie würden sich wieder ineinander verlieben, dessen war sie sich sicher. Aber er hatte ein anderes Ziel vor Augen. Sie musste ihre Entscheidung allein fällen.
»Hör mal. Ich habe lange darüber nachgedacht. Ich quäle mich seit Monaten damit herum«, begann sie mit erstickter Stimme. »So können wir nicht weitermachen. Mama und ich können nicht länger um Micki kämpfen. Sonst hassen wir uns eines Tages noch.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Ich kapituliere, Papa. Schick mich nach Hause. Mama kann sich um Micki kümmern. Ich könnte die beiden gar nicht auseinanderreißen, auch wenn ich wollte. Du siehst, dass ich so oder so keine Chance habe. Ich will, dass Mama glücklich ist, und ich will nicht, dass ihr euch scheiden lasst.«
Neville schwieg eine Zeit lang, dann legte er seine Pranke auf ihre Schulter. »Du bist fest entschlossen zurückzugehen?«
Madeleine schüttelte seine Hand ab. »Du musst mir versprechen, dass du dich um sie kümmerst. Mama gehört hier nicht hin. Sie sollte nicht hier sein. Sie braucht dich.«
»Gut, kleines Mädchen. Vielleicht ist es so das Beste. Wir können es versuchen.«
»Nenn mich nicht mehr kleines Mädchen. Und für mich bist du Neville.«
Schellen drangen an ihr Ohr. Rosaria sang dazu eine kubanische Milonga, und das Kind jauchzte vor Freude.
Madeleine ließ ihren Koffer auf die Veranda fallen und fuhr mit der Hand über die Furchen, Kreise und Schnörkel der Tür. Als sie acht oder neun Jahre gewesen war, hatte Neville sie die Muster um die Türfüllungen zeichnen lassen, und anschließend nahm er einen Holzmeißel, um die Zeichnungen auszustechen. Sie steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn herum. Die Tür klemmte. Sie musste sich während eines der letzten tropischen Regenfälle ungleichmäßig verzogen haben. Madeleine trat kurz mit dem Stiefel dagegen, und die Tür flog auf.
Das Haus sah aus, als sei es seit Jahren unbewohnt, obwohl erst achtzehn Monate seit ihrem Umzug von Key West nach England vergangen waren. Reglos atmete sie den vertrauten Geruch von sonnengetrocknetem Holz ein. Selbst ihr Schmerz, Micki und ihre Mutter verlassen zu haben, verebbte angesichts der Freude über ihre Rückkehr in die Heimat.
Das Haus roch nach Staub und die Küche nach etwas Beißendem, das sich als ein Haufen frischer Vogelkot entpuppte. Bei näherem Hinsehen stellte sich heraus, dass ein Taubenpaar mehrere Generationen Nachkommen in der Speisekammer großgezogen hatte. Jemand hatte das Fliegengitter herausgeschlagen, aber eingebrochen war offenbar niemand. Sie hatte bereits bemerkt, dass die Außenwände dringend behandelt werden mussten. Auf der Veranda lagen Häufchen von Sägemehl, die einen Termitenbefall befürchten ließen. Sie nahm sich vor, Neville bei ihrem nächsten Telefonat daraufhin anzusprechen. Er hatte erwähnt, dass er Geld für Instandsetzungsarbeiten vorgesehen hatte.
Sie schlenderte durch das spärlich möblierte Haus, schob Fenster hoch und stieß Holzläden auf. Licht strömte herein, zusammen mit Vogelgezwitscher und Reggaemusik aus dem Nachbargarten. Sie überlegte, in welchem Zimmer sie es sich gemütlich machen sollte; jedes rief andere Erinnerungen in ihr wach. Im Elternschlafzimmer stand Mamas Altar – ein kleiner Tisch, auf dem ein besticktes rotes Tuch und sieben heilige Steine lagen. In der Mitte ruhte der Schädel eines kleinen Säugetiers auf einem aus Muscheln gefertigten Untersatz. Mama hatte ihn zum Schutz des Hauses dort gelassen. Der Anblick war so ergreifend, dass sie fast geweint hätte. Die arme Mama! Kein Wunder, dass sie im gottverdammten Bath so verrückt wirkte. Die Briten hatten keinen Sinn für das Übernatürliche, kein Verständnis für Magie. Ihr Pech! Mama konnte Erstaunliches bewirken. Sie konnte aber auch Schaden anrichten und Krankheiten auslösen, wenn ihr jemand quer kam.
Sie ging hinaus, um den Garten zu inspizieren. Er hatte sich zu einem echten Dschungel entwickelt. Der Kerl, der kommen und ihn pflegen sollte, hatte offensichtlich das Geld kassiert und sich dann auf dem Weg in die Bar ins Fäustchen gelacht. Sie suchte im Teich nach Wasserbewohnern, in den Bäumen nach Vogelnestern, in den Kokospalmen nach Kokosnüssen, die herabfallen und ihr den Schädel zerschmettern konnten. Vor ein paar Jahren hatte eine einen Nachbar an der Schulter getroffen und dabei
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