Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
hinter uns lassen und noch einmal von vorn beginnen … Uns gegenseitig respektieren … Mir ist das jetzt alles klar, wirklich.«
»Bring Sascha zurück … dann können wir darüber reden.«
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, ich fahre nicht weit weg mit ihm. Aber ich will, dass du auch mitkommst. Morgen hast du Geburtstag. Wie du siehst, habe ich daran gedacht.«
»Komm her, dann können wir … darüber nachdenken.«
»Pack deine Tasche, wir holen dich ab«, gurrte Anton. »Nimm auch deinen Bikini mit, für alle Fälle. Und mach ja keine Dummheiten, Baby. Es ist nicht nötig, verstehst du? Ich bringe Sascha mit, und es gibt keinen Ärger. Es ist mir ernst. Also keine Telefonate, ja?«
»Ich muss Saschas Schule anrufen, sonst benachrichtigt man dort die Polizei«, erwiderte sie, und ihre Stimme war jetzt kalt. »Vielleicht warte ich, bis du kommst.«
»Sei jetzt nicht albern, Rachel.«
»Dann bring Sascha.«
Eine Stunde später fuhr das Auto vor. Rachel riss die Eingangstür auf und sah, dass Vater und Sohn sich eifrig unterhielten. Anton war bereits halb aus dem Auto gestiegen, Sascha noch angeschnallt. Offenbar befahl Anton ihm, im Auto zu warten. Sie wollte gerade hinausrennen und sich ihren Sohn packen, da schlug Anton die Autotür zu und kam durch die Gartenpforte auf sie zu. Während er sich ihr näherte, musterte er sie aufmerksam.
Er trug nicht seine Zuhälterkluft, sondern ein nettes kariertes Baumwollhemd. Jeans und Sandalen. Sein Haar war frisch gewaschen und locker, nicht mit Gelatine nach hinten gekämmt. Er sah aus wie ein ganz normaler Familienvater, der mit seiner Frau und seinem Sohn über das Wochenende wegfahren wollte. Gegen ihren Willen dachte Rachel, dass er noch immer ein sehr schöner Mann war. Sein schwarzes Haar umrahmte seine breite Stirn und seine hervorstehenden Wangenknochen, unter den grünen Augen blitzten weiße Zähne, und der schlanke Körper verbarg eine dynamische, drahtige Stärke.
Nun grinste er sie an. Sein Lächeln konnte die Polkappen zum Schmelzen bringen. Es war zugleich jungenhaft, verführerisch und grausam – ein Lächeln, mit dem er sie wieder und wieder herumgekriegt hatte und auf das sie noch immer ansprang. Sie spürte die vertraute Furcht im Bauch, gepaart mit einem Kribbeln und Feuchtwerden, und sie hasste sich dafür aus ganzer Seele. Ihre Angst und ihr Begehren schienen unauflösbar miteinander verbunden zu sein. Es war pervers, dass sie selbst nach ihrer letzten Begegnung (und der teuren Therapie) noch immer etwas für ihn empfinden konnte.
Er unternahm keinen Versuch, sie zu küssen oder zu berühren, noch sagte er etwas zu den verblassenden Prellungen in ihrem Gesicht.
»Hast du gepackt?«
»Nein«, erwiderte sie und ging ins Haus zurück.
Er folgte ihr.
»Na, dann pack fertig«, meinte er gut gelaunt. »Das Kind brennt schon vor Ungeduld. Wir haben ein paar Spielsachen gekauft – einen Strandball, Spaten und dergleichen. Und ich habe mir für alle Fälle eine Windjacke besorgt. Aber im Radio sagen sie vorwiegend gutes Wetter voraus; vielleicht wird es etwas regnen.«
Sie wusste, dass sie den Weg des geringsten Widerstandes ging, aber ihre Angst, was er mit Sascha anstellen konnte, schränkte ihre Möglichkeiten ein: Sie konnte hier bleiben und darauf vertrauen, dass Anton Sascha nach ein paar Tagen zurückbrachte, oder sie konnte mit ihnen fahren. Wahrscheinlich war es tatsächlich so, dass Sascha vor Ungeduld brannte, übers Wochenende an den Strand zu fahren, und Anton würde sich nicht abhalten lassen. Das einzig Sichere war, Sascha nicht aus den Augen zu lassen. Sie musste dorthin gehen, wohin ihr Sohn ging.
»Nun mach schon.« Anton stupste sie am Arm. »Wir wollen den Verkehr doch schnell hinter uns lassen, nicht wahr? Die M4 ist bestimmt ein Alptraum.«
»Gut«, sagte sie. »Ich packe. Aber wir machen hier keinen auf glückliche Familie. Ich ficke dich nicht, verstanden? Du fasst mich nicht an.«
Er hob seine Hände hoch und trat, noch immer lächelnd, einen Schritt zurück.
Sie hatte darauf bestanden, hinten zu sitzen und die Karte zu lesen. Die M4 war so verstopft, wie Anton es vorhergesagt hatte. Aber Saschas gute Laune wurde dadurch nicht gedämpft. Er zwitscherte wie ein Singvogel, rührend selig, beide Elternteile bei sich zu haben, und voller Vorfreude auf sein Traumwochenende am Strand. Er bestand darauf, unter seinem Kindersonnenschirm zu sitzen, und der rotgelb gestreifte Strandball sprang provozierend im Auto
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