Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
und geistig wie körperlich fit war; dann verzichtete er auf das Kokain und seinen widerlichen russischen Wodka zugunsten von Bier und Fitnessstudio.
Sascha, der von Tenby enttäuscht war und spürte, dass die Stimmung immer explosiver wurde, meldete sich plötzlich mit strahlendem Gesicht zu Wort. »Daddy, was macht man, wenn man eine Lücke sieht?«
»Sei ein paar Minuten lang still, Junge.«
Rachel beugte sich vor. »Erzähl es mir, Schatz. Was macht man, wenn man eine Lücke sieht?«
»Man parkt sein Auto, Mann«, rief Sascha triumphierend.
Damit war das Eis gebrochen. Erst kicherte Rachel, dann Anton. Plötzlich lachten alle drei, und wie auf Bestellung fuhr ein blauer Transporter aus einer Parklücke, und Anton fuhr im Bogen über die Straße, um sich den Parkplatz zu schnappen.
»Danke für den Tipp«, meinte Anton und kitzelte Sascha an den Rippen. »Ich habe die Lücke.«
»Cool, Mann«, lachte Sascha und bog sich vor Lachen und wieder hergestelltem Glück.
Ihr Parkplatz befand sich direkt vor der alten Stadtmauer. Sie nahmen ihre Taschen und den Ball und schlenderten in Richtung Meer. Und als hätten sie eine Glückssträhne, bekamen sie gleich im ersten Hotel zwei Zimmer. Es hieß Oceanvista Hotel und lag an der Esplanade. Der Empfang mit seiner sich von den Wänden lösenden Tapete und den verstaubten Kronleuchtern war sehenswert. Ein fetter Labrador wälzte sich auf einem Axminster-Teppich, der schon bessere Tage gesehen hatte und voller Brandlöcher von ausgetretenen Zigaretten war. Die dralle Waliserin hinter dem Tresen musterte sie über ihren Brillenrand hinweg.
»Sie haben Glück. Gerade eben hatte ich eine Stornierung. Die Dame bekam einen Asthmaanfall und musste ins Krankenhaus. Die Ärmste. Sie sind aus Derbyshire. Sie haben sich so sehr auf das Wochenende gefreut. Sie kommen jedes Jahr mit ihren beiden Kleinen. Gelegentlich auch zweimal …«
Als sie Luft holte, schnitt ihr Anton energisch das Wort ab. »Schön. Sie sind diejenige, die Glück hat.«
Sie sah ihn scharf an. »Nicht ich, Sir. In ganz Tenby ist kein Zimmer mehr frei.«
Rachel trat Anton leicht auf den Fuß. Noch eine Stichelei von ihm, und sie würden in die nächste Stadt fahren müssen, eine katastrophale Aussicht. Er spürte das offenbar auch, denn er bedachte die Frau mit seinem Killerlächeln, und sie schlug kokett die Augen nieder. Ihr Blick schmolz, als sie Sascha ansah. Sie lehnte sich mit ihrem riesigen Busen über die Theke.
»Wie war’s damit, junger Mann: Ich habe noch ein kleines Zimmer, genau die richtige Größe für einen Jungen wie dich, gleich neben dem von Mum und Dad.«
Sie stiegen in einem ehemals prächtigen, von einem hohen Fenster erhellten Treppenhaus drei Stockwerke hinauf. In den Sonnenstrahlen kreiste träge der Staub. Anton ging durch einen dunklen Korridor voran. Das große Zimmer war geräumig, aber es roch nach Putzmittel und schalem Zigarettenrauch. Die Scheiben seines Erkerfensters waren von der salzigen Meeresluft trübe, doch die Aussicht auf die weite See war etwas Neues. Eine Tür führte in eine Abseite, die früher vermutlich als Besenkammer gedient und ein winziges Fenster hatte. Darin standen ein schmales Bett und ein Kleiderschank, und an der Wand hing ein Gemälde von einem Jungen, der eine Ente im Arm hielt.
»Weißt du was, Sascha, weil wir nicht alle Tage so einen Ausflug machen, darfst du mit deinem Dad im großen Bett schlafen, und ich nehme das kleine Zimmer«, wandte sich Rachel an ihren Sohn.
Anton warf ihr einen Schmollblick zu. »Du vergisst, was für ein besonderes Ereignis wir feiern, Mummy-Baby. Morgen hast du Geburtstag.«
»Misch dich nicht ein!«, zischte sie.
Bevor Sascha über die Folgen ihres Angebots nachdenken konnte, hatte sie bereits ihr Gepäck in den kleinen Raum gestellt und die Zwischentür geschlossen. Dann durchwühlte sie ihre Tasche. Die Stiefelsaison war endgültig vorbei, und es war an der Zeit, in Sandalen zu schlüpfen. Ihre Füße waren schon seit acht Monaten nicht mehr an die frische Luft gekommen. Sie zog auch ihre Hose aus und streifte den alten Jeansrock über, den sie in letzter Minute in die Tasche geworfen hatte. Er passte noch immer. Sie wusste, dass sie Glück hatte, weil sich ihre Figur nie zu verändern schien. Allerdings lag ihr eigentlich nichts daran.
Sie betrachtete sich in dem hohen Spiegel, der an der Innenseite der Kleiderschranktür angebracht war, und ein Gefühl der Nacktheit überkam sie, als sie sich so
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