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Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schütze
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dem Haupteingang.
     
    Dr. Lenchen und ich kommen gerade rechtzeitig zum Gottesdienst. Munter schiebt Dr. Lenchen in ihren roten Turnschuhen die Gehhilfe durch den Mittelgang. Die Kirche ist erstaunlich gut gefüllt: alte und junge Menschen, ein Rollstuhlfahrer. Drei kleine Kinder sitzen vor der ersten Bank an einem Tischchen, auf dem Malutensilien bereitliegen. Eine halbe Reihe ist mit Teenagern gefüllt, die kichernd mit ihren Handys spielen.
    »Konfirmanden«, flüstert mir Dr. Lenchen zu, die von vielen Menschen mit Handschlag oder einem freundlichen Nicken begrüßt wird.
    Auch Pastor Brenner, der beim Einsetzen der Glocken nach vorn schreitet, lässt es sich nicht nehmen, bei ihr anzuhalten. »Guten Morgen, Frau Dr. Biermann«, grüßt er sie, und als er mich erkennt, geht ein Leuchten über sein Gesicht. »Eva, wie schön, dass Sie noch einmal den Weg zu uns gefunden haben!« Er lächelt uns zu und geht dann weiter.
    Ich bin beeindruckt, dass er sich meinen Namen gemerkt hat.
    »Ich denke, du bist keine Kirchgängerin«, wispert mir Dr. Lenchen zu und lässt sich vorsichtig in einer der Bänke nieder.
    »Bin ich auch nicht. Aber die Kirche war offen, als ich in der Gegend einen Spaziergang gemacht habe«, flüstere ich zurück. Dr. Lenchen zeigt auf den Platz neben sich und drückt mir ein rotes Gesangbuch in die Hand.
     
    Beim Schlusssegen stehe ich neben Dr. Lenchen und bemerke, dass sie ihren alten, runden Rücken so gerade wie möglich macht. Als ob sie sich recken müsste, um von dem Segen, den Pastor Brenner mit ausgebreiteten Händen erteilt, etwas abzubekommen. Und auch ich richte mich unwillkürlich auf. Als mich Brenners Blick trifft, wird mir ganz froh zumute. So falsch liegt Dr. Lenchen nicht: Die Vorstellung, dass da oben jemand mich, Nick, Benny und auch Dr. Lenchen behütet und mit Liebe und Frieden bedenkt, ist sehr beruhigend.
     
    Der Friedhof Ohlsdorf hat tatsächlich wenig mit dem Friedhof unseres Landkreises zu tun, der sich abgelegen zwischen zwei Dörfern in einer Art Niemandsland befindet. Mitten in der Stadt, umbrandet von Hauptverkehrsstraßen, liegt Ohlsdorf wie ein eigener kleiner Stadtteil da.
    Die strahlende Sonne des Morgens verbirgt sich nun hinter undurchdringlichen, hellgrauen Wolken. Trotzdem bleibt es sommerlich warm. Hubertus erwartet mich bereits, als ich von der Bushaltestelle zum Haupteingang laufe. Mit Jeans, Windjacke und Bootsschuhen sieht er sehr hamburgisch aus. Er stützt sich auf einen schwarzen Herrenschirm.
    »Der Juni ist in Hamburg oft die verbesserte Auflage des Aprils«, doziert er, während wir in den Friedhof hineinspazieren.
    Er deutet nach oben. »Nachher wird es noch regnen!«
    Wir kommen an kunstvoll gearbeiteten Grabskulpturen des 19 . Jahrhunderts vorbei und an imposanten Familiengrabstätten, prunkvoll mit Marmor und Gold verziert.
    Hubertus zeigt auf die vor uns liegende Kapelle. »Hier findet die Trauerfeier statt.« Die Kapelle ist abgeschlossen, aber wir können durch eine Glastür hineinsehen. Es ist ein heller, unpersönlicher Raum mit einem weißen Holzaltar, einem Rednerpult und einem großen Blumengesteck, das vermutlich noch von einer anderen Trauerfeier dort liegt. »Da vorn wird die Urne stehen«, sagt Hubertus.
    »Spielt jemand die Orgel?«
    »Nein, es ist ja kein Gottesdienst. Wir hören deine Grabrede. Außerdem haben Alexandra, Francesca und ich Musik ausgesucht, die spielen wir vom Band.«
    Er sieht mich fragend an. »Hättest du auch noch einen Vorschlag, welche Musik gespielt werden sollte?«
    Für den Bruchteil einer Sekunde zuckt eine Melodie durch mein Gedächtnis, schnell, flüchtig, süß und bitter, aber sie entwischt mir, bevor ich sie erkenne. Also schüttle ich den Kopf.
    »Was habt ihr denn ausgewählt?«
    Bevor Hubertus antworten kann, fängt es tatsächlich sanft und stetig an zu regnen. Er öffnet den Schirm und zieht mich zu einer Bank unter einer großen Buche. Durch die dichten Blätter fällt kaum Regen auf uns, und so schließt Hubertus den Schirm wieder.
    »Alexandra hat etwas Klassisches vorgeschlagen, das sie durch Daniel kennengelernt hat«, sagt er und holt ein schmales, ledernes Notizbuch aus seiner Jackeninnentasche. Er blättert suchend darin. Schließlich findet er das Gesuchte und liest vor: »Es ist aus einem Liederzyklus, den Edward Elgar Ende des neunzehnten Jahrhunderts geschrieben hat. Der Zyklus heißt ›Sea Pictures‹, also Seestücke, würde man wohl sagen.« Als er meinen ratlosen

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