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Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schütze
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sich unsere Blicke. Erkennen flackert über seine Züge, er schaut mich mit so viel Wärme an, dass ich verlegen werde. »No, sieh an, wer da ist! Kollega!« Er zieht das Instrument, das er während des Geldsammelns über den Rücken gehängt hat, vor den Bauch. »Sie wollen noch einmal hören?« Und ohne eine Reaktion von mir abzuwarten, spielt er den Walzer aus »Der Pate«. Dabei bewegt er sich langsam von uns fort, tanzt fast ein wenig.
    An den umstehenden Tischen wird wieder geklatscht. Billie und Alexandra sind beeindruckt. Billie droht mir spielerisch mit dem Finger. »Du lässt mich meine Suada über Straßenmusiker im Allgemeinen und über Akkordeonisten im Besonderen halten – und dann bist du sogar mit einem befreundet!« Wieder nimmt ihr Gesicht den Ausdruck eines Menschen an, der viele Frage stellen möchte.
    »Er hat gestern auf dem Isemarkt gespielt, da habe ich ihm etwas Geld gegeben«, beeile ich mich zu sagen.
    Billie sieht mich ungläubig an. »Und er spielt für dich deine Lieblingslieder, weil du seine lange vermisste Enkelin bist?«
    Die beiden kichern.
    Ihre Heiterkeit wird von der Stimme des Akkordeonisten unterbrochen – wie ein Händeklatschen, das einen Schwarm Tauben aufscheucht. Er legt ein Notenblatt vor mich hin. »Hier, falls Sie doch wieder üben möchten.«
    Bevor ich etwas sagen kann, wendet er sich ab und geht weiter.
    »Moment!«
    Ich will ihm hinterherlaufen, aber Billie hält mich zurück. »Lass doch, das ist doch nett!« Ihre Augen glitzern unternehmungslustig. »Außerdem sieht es aus wie der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Ich wollte, mein Vater könnte so gut Akkordeon spielen.«
    Alexandra beugt sich über das Blatt. »›Godfather Waltz von Nino Rota‹«, entziffert sie die Überschrift. »Der Walzer aus dem Film ›Der Pate‹.« Sie spitzt die Lippen. »Jetzt musst du dir nur noch ein Akkordeon besorgen.«
    Ich sehe dem Musiker verwirrt nach. Er hat sein Instrument eingepackt und schließt gerade den Koffer. Er winkt uns noch einmal zu, dann ist er verschwunden.
    »Eva erlebt in Hamburg eben etwas. Die sitzt nicht den lieben langen Tag in einer schicken Agentur mit Elbblick«, stichelt Alexandra liebevoll.
    »Von wegen schicke Agentur: Uns hat die Krise jetzt auch erwischt.« Billie wird sehr ernst. »Sinkende Werbeausgaben, veränderte Verbraucheransprüche, der Verlust traditioneller Werbeformen, die Entwicklung des Internets – für die Werbebranche kommen derzeit viele Herausforderungen zusammen.«
    Alexandra zieht die Augenbrauen hoch. »Auf Deutsch heißt das …?«
    Billie seufzt. »Auf Deutsch heißt es, wir mussten uns verknappen. Wir haben Leute entlassen müssen, was besonders eklig war. Aber wir können ihnen keine Sicherheit mehr bieten. Wir sind gezwungen, mit jungen, billigen Kräften zu arbeiten. Und aus dem Büro an der Elbe ziehen wir aus. Vorerst scheint es, als ob wir dadurch eine Insolvenz abwenden können. Mal sehen.«
    »Und wenn das nicht klappt – könntest du dann nicht bei Jan auf dem Gestüt arbeiten?«
    Billie wiegt den Kopf hin und her. »Da läuft es derzeit auch nicht besonders gut. Wir überlegen gerade, ob wir einen Ferienreiterhof daraus machen sollen.« Sie legt ihre Hand auf Alexandras Schulter. »Aber das ist nicht zu vergleichen mit dem Kummer, den ihr, du und Mia, habt.« Sofort füllen sich Alexandras Augen wieder mit Tränen. Ich habe das Gefühl, als ob für einen Moment alle Geräusche auf der Straße verstummen und ich die Szene von oben betrachte. Drei Frauen sitzen bei Sonnenschein in einem schönen Café in einem angesagten Viertel der Stadt. Ein Motiv, das Glück, Freude, Zufriedenheit ausstrahlt. Dann denke ich an Alexandras Enttäuschung über Daniels mangelndes Engagement für seine Tochter und an ihren Schmerz über seinen Tod und das Ende ihrer Hoffnung. An Billies finanzielle Probleme, an den russischen Musiker und an meine eigene Ehe. Ein Bild lügt manchmal mehr als tausend Worte.
    Billie stützt den Kopf in eine Hand und grinst uns zu.
    »Ich versuche jedenfalls, im Dunkeln möglichst laut zu pfeifen.« Sie zündet sich eine Zigarette an und bläst den Rauch steil nach oben. »Weißt du, die Mutter meiner Freundin Sonja hat immer gesagt, dass man auf Probleme zugehen muss wie auf einen alten Bekannten, sonst werden sie nämlich zu Feinden.« Sie lacht leise auf. »Im Moment habe ich allerdings das Gefühl, dass ich nicht auf meine Probleme zu
gehe,
sondern laufe. Dabei bin ich überhaupt keine

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