Erdbeerkönigin
Joggerin.«
Die Kellnerin legt die Rechnung auf den Tisch. »Ich würde gern kassieren, die neue Schicht fängt gleich an.« Sie räumt das Geschirr ab und bemerkt dabei das auf dem Tisch liegende Notenblatt. »Hat Stanislaw das hier vergessen?«
»Der Musiker heißt Stanislaw?«
Die Kellnerin nickt. »Ja, ein sehr netter Kerl. Der verbringt schon seit Jahren den Sommer in Hamburg. Wenn ich es recht erinnere, war er Musiklehrer in St. Petersburg, aber er hat seinen Job verloren. Vielleicht ist er auch zu alt? Hier verdient er jedenfalls mehr.«
Billie sagt gönnerhaft: »Er spielt in der Tat gut.«
»Allerdings! Manche nennen sein Spiel brillant.« Die Kellnerin benimmt sich wie die Agentin des Akkordeonisten. »Ihr könnt ihn auch mieten, er spielt auf Partys und Geburtstagen. Alles Cash – und selbstverständlich schwarz.« Sie verabschiedet sich und folgt dem Ruf an einen anderen Tisch.
Alexandra hat sich nicht an unserem Gespräch beteiligt. Sie sieht der Kellnerin nach und sagt dann: »Eva, hoffentlich versteht du uns ein bisschen und glaubst jetzt nicht, dass wir nur schlecht über Daniel denken und reden.« Ihre Augen glänzen erneut. »Ich habe ihn geliebt, und Mia ist das Beste, was ich jemals zustande gebracht habe. Dass ich mich aber so sehr in Daniel täuschen konnte … darüber komme ich nicht hinweg. Als ich ihn damals bei einer Vernissage im Hamburger Kunstverein kennenlernte, glaubte ich, dass wir ähnlich denken und fühlen. Aber das war nicht so.«
Die Tische des Cafés stehen weit bis auf den Gehweg hinaus. Auf einem der vorderen Plätze sitzt ein alter Herr und trinkt ein Glas Wein. Sein Hund liegt vor seinen Füßen und schläft. Ein Jogger, der den Gehweg entlangkeucht, springt über das Tier, das aufschreckt und den Störenfried verbellt. Diese Situation erinnert mich an mein Erlebnis vor Daniels Haus am Markttag. Und es erinnert mich an vergessene Vorsätze, eingeschlafene Vorlieben und daran, dass ich mich viel zu lange durch mein Leben habe treiben lassen.
Statt Alexandra zu antworten, frage ich: »Kann man hier in der Nähe Laufschuhe kaufen?«
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7 . Kapitel
Wenn Du einen beliebigen Moment Deines Lebens noch einmal durchleben könntest – welcher wäre es?
(Gesprächsstoff: Original)
Sonntag, Tag 5
D as Display auf meinem Handy zeigt wieder vier Uhr, als ich in der Nacht zum Sonntag hochschrecke. Im Badezimmerspiegel blickt mir ein bleiches Gesicht entgegen. Ich habe knapp eine Stunde geschlafen. Es ist spät geworden, und der Rotwein floss reichlich. Billie war mit mir Schuhe kaufen gegangen, und später hatten wir uns in einem italienischen Restaurant getroffen, in dem Alexandra Stammgast ist. Im Laufe des Abends kam noch Sonja, eine Freundin von Billie und Alexandra, dazu und dann noch zwei weitere Freundinnen von Alexandra, Franziska und Tina. Sie alle kannten Daniel und kümmerten sich liebevoll, aber nicht übertrieben um Alexandra. Es wurde viel erzählt und auch gelacht, und Daniel wurde in vielen kleinen Anekdoten für mich lebendig. »Er liebte Frankreich und fuhr fast jeden Sommer an die Côte d’Azur«, erzählte beispielsweise Tina, die Daniel als Physiotherapeutin nach einer Knie- OP betreut hatte. »Und aus seinem Urlaub brachte er immer diesen preiswerten französischen Senf mit, auf den er für seine Salatsoßen schwor.« Alexandra nickte und diesmal glitzerte ein Lachtränchen in ihren Augen. »Amora!« Sie setzte eine gewichtige Miene auf und dozierte: »Habt ihr euch schon mal Gedanken gemacht über …« Sie pausierte und dann intonierten die Frauen im Chor: »Das Preis-Leistungs-Verhältnis?« Ich sah sie erstaunt an. Tina quetschte zwischen zwei Lachern eine offensichtlich sehr gelungene Imitation von Daniel heraus. »Einmalig! Einmalig bei diesem Senf! Und nichts als Wasser, Senfkörner und Essig drin!« Die anderen applaudierten. Alexandra ergänzte: »Was Blödsinn war, denn zweifellos enthält er auch Salz, Zitronensäure und Konservierungsmittel.« Sonja rief: »Aber das ist bei dem einmaligen Preis-Leistungs-Verhältnis doch nicht anders zu erwarten!«
»Ich hätte Daniel nicht für einen Pfennigfuchser gehalten«, warf ich ein. Die Frauen sahen mich erstaunt an. »Daniel war sehr großzügig«, antwortete dann ausgerechnet Billie. »Es ging ihm nicht darum, zu sparen. Seit seinem ersten Aufenthalt in Frankreich als junger Mann schwärmte er für diesen Senf, und ich glaube, er führte immer den niedrigen Preis ins Feld, um ihn
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