Erdbeerkönigin
schnell kann man von angetrocknetem Bananenbrei beim Tod ankommen.
Billie gefällt der Stimmungswechsel nicht. »Mädchen, wir waren doch bei Daniel und seiner Schnapsidee, dass Eva die Grabrede hält. Sollen wir dir mal einige Sachen über Daniel erzählen?« Obwohl ich gewissermaßen genau auf solche Gespräche angewiesen bin, lässt mich Billies offensiver Tonfall zurückschrecken.
Alexandra mischt sich ein. »Du hast ihn nie gemocht, Billie.« Sie wendet sich an mich. »Billie hat sich immer über Daniels Geschäftsreisen aufgeregt. Dabei war er gezwungen, viele Reisen machen – bei seinem Beruf.«
»Geschäftsreisen!«, schnaubt Billie. »Seine Geschäftsreisen waren meistens Mitte zwanzig und blond. Die letzte hieß Francesca! Zum Glück hatte er mit ihr kein Kind.« Sie beugt sich zu mir und sieht dabei ihre Freundin bittend an. »Alex, ich darf doch offen zu Eva sein?«
Alexandra nickt ergeben und widmet sich ihrem Rührei.
»Daniel war einer dieser klassischen Erfolgsmenschen, die sich nur um sich selbst kümmern können. Er wollte keine Kinder, und als Alex damals schwanger wurde, hat er ihr klipp und klar gesagt, dass er mit ihr keine Kleinfamilie aufmachen wird.«
In einiger Entfernung ist der Klang eines Akkordeons zu hören.
»Oh, nein!«, sagt Billie und legt mit einer entschiedenen Bewegung ihr Besteck zusammen. »Ich hasse diese Straßenmusiker, sie machen mir ein schlechtes Gewissen! Da sitzt man fröhlich am wohlverdienten Wochenende im Café, und mitten in dein Frühstück platzen Migrantenschicksale und Wirtschaftsflüchtlinge, Armut und Elend.«
Alexandra runzelt die Stirn. »Du verwöhnte Agenturtante! Ein bisschen soziales Gewissen schadet auch in deiner Caféhaus-Idylle nichts. Außerdem: Der Typ kann außerordentlich gut spielen.« Sie stößt mich in die Seite. »Billie verabscheut besonders eine Akkordeonistin, die seit einiger Zeit unter der S-Bahnbrücke an der Sternschanze spielt.«
»Wenn sie wenigstens spielen würde«, kommentiert Billie. »Sie stümpert sich immer nur durch die ersten Takte von ›Besame mucho‹. Und das total falsch! Seit Jahren sitzt sie da und spielt immer dieselben zwei Takte.« Sie grinst, weil ihr wohl eine Idee kommt. »Vielleicht versucht sie, Geld für den Musikunterricht zu verdienen!«
Obwohl mir Billies Zynismus nicht gefällt, muss ich mitlachen. Der Straßenmusiker kommt auf uns zu. Ich sehe der Begegnung mit gemischten Gefühlen entgegen: Ob Billie ihre Abneigung ihm gegenüber auch so deutlich zeigen wird? Das wäre mir unangenehm. Aber meine Sorgen erweisen sich als unbegründet.
»Unterricht braucht der nicht«, stellt Billie zufrieden fest, als der Akkordeonspieler unser Café erreicht. Langsam wird es mir unheimlich, denn es ist derselbe, den ich vor Hubertus’ Büro und auf dem Isemarkt gesehen habe. Im Kino wäre dieser Mann ein Agent der Gegenseite, der es auf mein Leben abgesehen hat. Misstrauisch beobachte ich ihn. Diesmal hat er ein Knopfakkordeon dabei. Ich selber habe Pianoakkordeon gelernt. Das heißt, dass ich mit der rechten Hand auf einer Klaviatur mit weißen und schwarzen Tasten wie beim Klavier gespielt habe, während ich die begleitenden Bässe mit der linken Hand durch das Drücken von Knöpfen erzeugte. Beim Knopfakkordeon müssen beide Hände die Anordnung von Knöpfen beherrschen. Ich habe das einmal probiert, aber es war mir zu kompliziert. Ich hatte das Gefühl, dass sich meine Gehirnhälften miteinander verknoteten, und schon genug damit zu tun, die linke und rechte Hand unabhängig voneinander zu bewegen.
Die Finger des Musikers gleiten so schnell über die Knöpfe, dass mein Auge kaum folgen kann. Er spielt nicht nur virtuos, sondern mit so viel Begeisterung und Schwung, dass die Gespräche an den Tischen verstummen. Die Musik schwillt an und ab – ein Wasserfall aus Tönen sprudelt an uns vorbei und reißt uns mit, lebensfroh und getragen zugleich, wie in einer Kirche.
»War das Bach?«, fragt Billie, als der Musiker nach dem Applaus auch an unserem Tisch sammelt. Er schüttelt den Kopf. »Nein, Scarlatti: Sonata d-Moll.«
Alexandra zischt Billie zu: »Der ist ein ausgebildeter Musiker. Nix da mit Migrantenschicksal.«
Wir haben nicht bemerkt, dass der Akkordeonspieler hinter uns stehen geblieben ist und Alexandras Worte gehört hat. Er beugt sich leicht zu ihr hinüber. »Habe ich studiert Musik in Moskau und St. Petersburg. Verdiene ich aber hier unter Brücke mehr.« Er lächelt. Dann treffen
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