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Erdbeerkönigin

Erdbeerkönigin

Titel: Erdbeerkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schütze
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um mich, spüre die schmerzende Sehnsucht wie Kälte in mir aufsteigen. Ich schließe die Augen und denke an Nick. Nein, ich spüre, schmecke, rieche ihn. Den Duft seiner Haare, die Glätte seiner frisch rasierten Wangen, die Weichheit seiner Haut unterhalb des Ohrläppchens. Eine Welle der Zärtlichkeit umspült mich.
    Aber ich bringe es nicht über mich, ihn anrufen. Dazu bin ich zu stolz. Mein Stolz ist keine meiner besten Eigenschaften. Andererseits hat er mich vor manchen Bauchlandungen bewahrt. So habe ich beispielsweise nach der ersten Postkarte an Daniel, die unbeantwortet blieb, nie wieder an ihn geschrieben. Weil ich zu stolz war. Zumindest eine Frage meines Lebens kann ich mittlerweile beantworten: Daniel hat sich bei mir nicht mehr gemeldet, weil ich nicht in sein Leben gepasst hätte. Man stelle sich die Braunschweiger Tracht im Garten von Hubertus vor!
    Die Erdbeerkönigin passt viel besser zu Nick. Und ich bin mir nicht sicher, ob sein Anruf nicht eher der Ausdruck verlorener Kontrolle war als ein Anfall großer Sehnsucht. Fehle ich ihm oder fehlt
etwas
in seinem wohlgeordneten Alltag? Das war damals, als wir uns kennenlernten, anders. Der junge Nick war stürmisch, zielgerichtet und sehr verliebt. Er wollte so schnell wie möglich mit mir zusammenziehen und eine Familie gründen.
    Und ich? Ich war gerade in die Stadt gezogen, mir schmeichelte, dass Nick mich für sich haben wollte, aber ich mochte meine gerade gewonnene Freiheit nicht so schnell wieder aufgeben. Gleichzeitig fühlte ich mit einer unerklärlich tief verankerten Gewissheit, dass ich vor den Gleichgewichtsstörungen, die mich beim Blick in seine Augen erfassten, keine Angst haben musste. Mit Nick lag das Leben vor mir wie der sprichwörtlich lange, ruhige Fluss. Nick wollte nicht nach den Sternen greifen, sondern unter ihnen ein Haus bauen.
    Und was wollte ich? Jedenfalls hätte ich mir damals nicht träumen lassen, dass ich einmal in meinem Haus auf dem Lande sitzen und mich mit der Kaffeemaschine unterhalten würde, Sternenhimmel hin oder her.
    Ich beuge mich über die Balkonbrüstung und spucke ins Wasser. Der Kanal liegt trübe im Morgengrau. Mir ist, als ob ich in mein eigenes Leben hinabsehe. Hatte ich jemals einen Plan?
     
    Beim Schuhkauf hatte Billie mir unvermittelt und anerkennend auf die Schulter geklopft. »Kurzerhand abhauen, nach Hamburg kommen, in Daniels Wohnung einziehen … Wer macht denn so was schon?« Sie nickte bewundernd. »Kleine Fluchten! Davon träumen wir doch alle. Mal einfach aus dem eigenen Leben hinaustreten. Nur für ein paar Stunden, für ein paar Tage. Und mit der Garantie, hinterher wieder in das alte Leben schlüpfen zu können wie in bequeme Schlappen.«
    Sie begann mit dem Verkäufer, einem drahtigen Sportlertyp Anfang vierzig , ein Wortgefecht, weil sie seine Meinung nicht teilte, ich müsse die Laufschuhe eine Nummer größer als gewöhnlich nehmen. Schließlich seufzte der Mann: »Glauben Sie mir doch endlich. Ich bin der Experte!«
    Billie zog mit gespielter Zerknirschung den Kopf ein und schnitt Grimassen. Das war mir einerseits peinlich, andererseits beneidete ich sie um ihre Unbekümmertheit. Sie benahm sich wie ein junges Mädchen. Dabei ist sie sicher schon Ende dreißig – eine ernstzunehmende Geschäftsfrau, aber trotzdem verspielt, intolerant und ichbezogen wie ein Teenager. Sie schwärmt wie Alexandra vom Flair des Schanzenviertels, als wäre es ihr Lieblingsspielplatz. Für mich sehen die vielen Coffeeshops und Boutiquen mit ach-so-originellen Klamotten, exotischem Nippes und stylischen Accessoires alle gleich aus. Dennoch dachte ich bei den vielen internationalen Angeboten ein wenig wehmütig an die Reisen, die Nick und ich geplant hatten – und zu denen es dann doch nie kam. Weil das Haus gebaut, der Garten abgeerntet, das Kind getauft wurde. Am liebsten hätte ich Nick eine große Geschenktüte mit indischen Gewürzen, ägyptischen Flip-Flops, koreanischen Ingwerbonbons, französischer Konfitüre und Kaffee aus El Salvador gefüllt. Aber dann stand mir wieder sein Gesicht vor Augen, als ich vergessen hatte, die Kaffeemaschine einzuschalten, und ich verwarf die Idee.
    All diese Gedanken purzelten durch meinen Kopf, während ich den neuen Laufschuh anzog. Außerdem dachte ich darüber nach, dass Hubertus mit Alexandra über mich gesprochen haben musste. Woher wusste Billie sonst von meiner »Flucht«?
    Im Sportladen schob ich das Gefühl des Ausgeschlossenseins beiseite, aber

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