Erdbeerkönigin
er die Hände und macht Francesca täuschend echt nach – mit französischem Akzent: »Er gehört mir, lass die Finger von ihm oder ich grille deine Nasenspitze und serviere sie dir zum Frühstück!« Er lacht. »Eine schöne Frau, diese Francesca. Sexy, leidenschaftlich.« Er verdreht die Augen. »Sie ist Daniel manchmal sehr auf die Nerven gegangen.«
»Ich dachte, sie waren ein Paar?«
»Na ja, das hat sie immer gehofft. Für Daniel war sie ein hübsches Intermezzo, aber sie hat ihn oft auch gelangweilt oder geärgert. Er wollte keine feste Beziehung mit ihr.« Er grinst mich an. »Sie ist nett, aber nervig. Daniel war nicht der Typ für gemeinsame Fernsehabende und Ausflüge am Wochenende.«
»Für was war er denn der Typ?« Meine Stimme klingt schärfer, als ich beabsichtige. Ich bin verwirrt. Illegale Putzfrauen, leidenschaftliche Blondinen, frustrierte Mütter – Billies Urteil, Daniel sei ein Beziehungskrüppel, kommt mir wieder in den Sinn.
Filou langweilt das Gesprächsthema Daniel jetzt offensichtlich. Vielleicht ist das nur ein Reflex, um seine eigene Trauer und die Ungewissheit über seine Zukunft und die Zukunft der Galerie abzufedern? Vielleicht ist es aber auch nur die Flucht in seine vertraute Rolle als Casanova. Auf jeden Fall macht er deutlich, dass er es vorziehen würde, über einen äußerst lebendigen Mann zu sprechen – nämlich über sich. »Kümmert man sich genug um dich, hier so allein in der großen Stadt, ma petite?«, gurrt er und bietet sich als Fremdenführer an. »Ich kenne ein wunderbares Fischrestaurant am Hafen.« Er beugt sich vor, und seine Hände umschließen meine Arme.
Ich stehe auf, bevor er sich wie ein Krake über den Tisch tentakelt. Aber dieser Mann lässt sich so schnell nicht abschütteln, sondern verfügt plötzlich über mindestens acht Hände. Er begleitet mich zu Tür, und dabei zupft er an meinem Haaren, tätschelt meine Schulter, klopft auf meinen Rücken – ich komme mir vor wie im Streichelzoo. Dann verabschiedet er mich mit zwei innigen Wangenküssen und presst sich wieder an mich. Außerdem steckt er mir noch seine Karte zu. »Auf der Rückseite stehen alle meine Nummern, Festnetz, beruflich, privat. Ruf mich gern an. Jederzeit.«
Von wegen, denke ich. Laut sage ich: »Na klar. Bis bald!«
Ich bin schon drei Meter entfernt, da ruft er mir nach: »Chérie, vergiss nicht: das Fischrestaurant im Hafen!«
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10 . Kapitel
Glaubst Du, dass es weniger Konflikte auf der Erde gäbe, wenn wir alle dieselbe Sprache sprächen?
(Gesprächsstoff: Original)
Immer noch Dienstag, Tag 7
I ch steige in die S-Bahn und bin nach zwei Stationen am Bahnhof Sternschanze. Dort entschließe ich mich, die Weidenallee hinunterzulaufen und dann am Kanal entlang nach Hause zu spazieren. Fast bin ich ein wenig stolz darauf, wie sicher ich mich mittlerweile durch den Stadtteil bewege.
Als ich über den belebten Vorplatz des Bahnhofs schlendere, zerreißt ein Schrei die Monotonie der Großstadtgeräusche. Ich drehe mich um. Und dann geschieht alles wie in Zeitlupe. Ein Fahrradfahrer, der mit großer Geschwindigkeit über den Gehweg rauscht, kollidiert mit einem Passanten. Der Aufprall ist so groß, dass der Fußgänger durch die Luft gewirbelt wird. Der Kasten, den er bei sich trägt, fällt zu Boden. Der Mann bleibt auf dem Pflaster liegen. Einige Fußgänger sehen neugierig zu ihm hinüber. Doch die meisten gehen unbeeindruckt weiter, als wäre nichts geschehen. Auch ich will meinen Weg zuerst fortsetzen. Aber dann drehe ich mich doch um und laufe zurück. Als ich bei dem Verunglückten ankomme, erkenne ich erst, dass es sich um Stanislaw handelt. Ich bin zu erschrocken, um über diesen erneuten merkwürdigen Zufall nachzudenken. Im Augenwinkel sehe ich, dass das Fahrrad weggerutscht ist. Der Fahrer setzt sich gerade wieder auf und reibt sich den Kopf.
Stanislaw liegt bäuchlings und verkrümmt auf der Erde.
Vorsichtig berühre ich seine Schulter. »Kann ich Ihnen helfen?«
Er regt sich nicht.
Noch einmal drücke ich seine Schulter. »Können Sie mich hören?«
Stöhnend wendet er mir seinen Kopf zu. Sein Gesicht ist aufgeschürft und blutet. Er macht keinerlei Anstalten aufzustehen und steht unter Schock.
Ich nehme seine Hand. »Atmen Sie ruhig, ich kümmere mich um Sie.« Rasch sehe ich mich nach Hilfe um.
Einige Leute haben sich um uns gestellt und beobachten die Szene neugierig.
»Wir brauchen einen Krankenwagen«, rufe ich. »Kann das jemand
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