Erdbeermond: Roman (German Edition)
diese Missgeschicke waren nichts verglichen mit der Eye-Eye-Captain-Katastrophe: Weil ich auf den Adress-Aufkleber für Femme geweint hatte und man die Schrift nicht mehr lesen konnte, kam das Päckchen am Dienstagnachmittag zurück, und wir hatten den Termin versäumt. Lauryn war weiß im Gesicht vor Wut. Als ich an dem Morgen aus dem Aufzug trat und noch bevor ich meinen Fuß auf den Teppich gesetzt hatte, kreischte sie mir entgegen: »Weißt du eigentlich, welche Auflage Femme hat? Weißt du, wie viele Frauen die Zeitschrift lesen ?«
Dann kam Franklin hinzu und brüllte: »Ohne seine Eier ist ein Mann ein Nichts!«
Als ich am Freitagabend den Zeitungsladen bei uns um die Ecke betrat, um mich für meinen Heulabend einzudecken, ging mir auf, warum ich so gereizt war: Mir war unglaublich heiß. Das kleine Geschäft war wie ein Ofen.
»Wie heiß es ist!«, sagte ich zu dem Mann.
Ich erwartete keine Antwort, weil ich dachte, er könne kein Englisch, aber er erwiderte: »Heiß! Ja! Viele Tage, eine Hitzewelle!«
Viele Tage? Was meinte er damit? »Wie … wann hat denn diese Hitzewelle angefangen?«
»Hä?«
»Wann hat es angefangen, an welchem Tag?«
»Donnerstag.«
»Donnerstag?« Dann war es nicht so schlimm.
»Dienstag.«
»Dienstag?«, sagte ich, sehr besorgt.
»Sonntag.«
»Nein, Sonntag war es nicht.«
»Ein anderer Tag, ich weiß nicht das Wort.«
Ganz verstört machte ich mich mit meiner Tüte Süßigkeiten langsam auf den Weg nach Hause. Das mit der Hitzewelle war nicht gut. Ich war so in mich selbst eingesponnen, dass ich es zwar gemerkt hatte, aber eben nicht genug gemerkt hatte.
Dann kam mir ein anderer Gedanke: Als ich in der Woche zur Arbeit gegangen war und die falschen Sachen für dieses heiße Wetter angehabt hatte, konnte man … das riechen ?
Nach meinen regulären drei Stunden Schlaf wachte ich am Samstagmorgen auf, und der Schweiß rann mir ins Haar. Mist. Es stimmte also: Wir waren mitten in einer Hitzewelle, und es war Sommer. Panik ergriff mich. Ich will nicht, dass es Sommer ist. Sommer ist zu weit weg von der Zeit, als du gestorben bist.
Ich hatte geglaubt, ich wollte, dass genügend Zeit vergehe, damit ich an ihn denken konnte, ohne dass mich der Schmerz jedes Mal umbrachte, doch jetzt war es Juli, und ich wünschte mir, es wäre immer Februar geblieben.
Die Zeit heilt alle Wunden, sagten die Leute. Aber ich wollte nicht geheilt werden, denn dann würde ich ihn aufgeben. Ich lag da, die Laken klebten an mir in der drückenden Hitze, und ich konnte mich nicht rühren. Ich musste die Klimaanlage installieren, aber das Gerät war riesig, so groß wie ein Fernseher. Im Herbst hatte Aidan es weggestellt – auf ein Brett im Wohnzimmer. Ich spürte, wie das Entsetzen sich in mir ausbreitete. Du bist nicht mehr da, um es runterzuholen.
Die kleinen Momente manchmal, wenn ich vergaß, dass er gestorben war, machten es noch schwerer, denn dann musste ich von vorn anfangen, mich zu erinnern. Der Schock traf mich immer mit der gleichen Wucht.
Wann würde es leichter werden? Würde es jemals leichter werden? Ich hatte über andere Menschen nachgedacht, die von schrecklichen Ereignissen heimgesucht worden waren – Überlebende des Holocaust, Opfer von Vergewaltigungen, Menschen, die ihre ganze Familie verloren hatten. Oft leben sie weiter, und es sieht aus wie ein ganz normales Leben. Irgendwann müssen sie aufgehört haben, es so zu empfinden, als lebten sie in einem Alptraum.
Von der Hitze und der Trauer niedergedrückt, ließ ich die Sekunden verstreichen, und schließlich sagte ich zu ihm: Die Trauer scheint mich nicht umzubringen, aber die Hitze könnte es schaffen. Ich zwang mich also, aufzustehen und mich um die Klimaanlage zu kümmern. Sie stand auf dem obersten Brett im Wohnzimmer. Auch wenn ich mich auf einen Stuhl stellte, würde ich nicht rankommen, und selbst dann wäre sie zu schwer für mich.
Ornesto würde mir dabei helfen müssen. Ich wusste, dass er zu Hause war, denn seit zehn Minuten sang er Diamonds are Forever , so laut er konnte.
Er machte mir in einer kurzen Latzhose aus Goldlamé und in geblümten Birkenstock-Sandalen die Tür auf.
»Du siehst sehr hübsch aus«, sagte ich.
»Komm rein«, sagte er. »Wir singen zusammen ein Lied.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich brauche einen Mann.«
Ornesto riss die Augen auf. »Ja, aber wo sollen wir denn jetzt einen finden, Schätzchen?«
»Ich nehme einfach dich.«
»Ich weiß nicht«, sagte er zweifelnd. »Was
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