Erdbeermond: Roman (German Edition)
einen Mann, der eine von ihnen heiratet und sie aus der Armut befreit. Aber Miss Martine, die Schöne, ist der Flasche verfallen. Sie sind Miss Martine, ich bin Edna, die hässliche, ältere Schwester – es ist ja nur Theater, okay?«
»Edna« und ich mussten auf einer »Veranda« sitzen, dargestellt von zwei umgestülpten Kisten, und uns wegen der schrecklichen Hitze mit einem Fächer Luft zufächeln. Bei der tatsächlich herrschenden Hitze war das ja leicht.
ERSTE SZENE: Der Vorhang hebt sich, zwei Frauen sitzen auf der Veranda eines Südstaatenhauses, das in einem maroden Zustand ist.
Eine der Frauen – Martine – eine welkende, mit der Welt hadernde Schönheit, trinkt aus einem Glas und starrt ins Leere, die andere – Edna – ist älter und wirkt recht männlich. Es ist früher Abend.
EDNA: Mir fällt auf, dass Taylor nicht mehr kommt.
Martine sieht sie abweisend an.
MARTINE: Ich bin eine Frau, die die Kunst der Konversation mit männlichen Besuchern beherrscht.
Edna knetet nervös ihre Hände .
EDNA: Du bist sehr charmant zu ihnen, Schwesterherz, sehr charmant. Nur, sie kommen ja nicht mehr. Und wenn wir nicht bald das Dach repariert kriegen, bricht der ganze Schlamassel über unseren Köpfen zusammen. Der Zorn des Herrn könnte nicht schlimmer sein.
Martine trinkt wieder aus ihrem Glas.
MARTINE: Oh Gott, diese Hitze. Ich könnte mich glatt hinlegen, einfach hier auf den Boden, und schlafen bis zum Tag des Jüngsten Gerichts.
Edna bedenkt Martines Glas mit einem bösen Blick.
MARTINE: Der Himmel sei mir gnädig, sieh mich nicht so an!
EDNA: Du trinkst den Whiskey von unserem armen Daddy, Tag und Nacht. Meine Schwester wird zur Trinkerin!
MARTINE: Ich bin keine Trinkerin.
Tupft sich mit einem zarten Taschentuch die Schläfen.
MARTINE: Aber ich bin müde, müde, so müde.
Ich las Martines Part und fand, dass ich es nicht schlecht machte. Besonders das mit dem »so müde«.
»Gut.« Merrill klang überrascht. »Ja, sehr gut.«
»Sehr gut«, sagten auch die beiden bärtigen Typen.
»Wie können wir Sie erreichen?«
Ich gab Merrill meine Candy-Grrrl-Karte.
»Tolle Karte! Gut, wir müssen weg. Hier machen ein paar Verrückte jeden Sonntag eine Séance. Müssten bald hier sein, falls Sie mal zugucken möchten.«
Ich wurde puterrot, sagte aber nichts.
Wie in der Woche davor war Nicholas auch diesmal der Erste. Heute stand auf seinem T-Shirt: »Lieber tot als entehrt.«
»Du bist wieder da! Das ist ja klasse!«
Ich war so gerührt, dass ich nicht den Nerv hatte zu sagen, ich würde wieder gehen, sobald Mitch mir die Telefonnummer gegeben hatte.
»Kommt Mitch jede Woche?«, fragte ich.
»Fast jede Woche. Die meisten von uns kommen fast jede Woche.«
Da ich mit Nicholas allein war, wollte ich meine Neugier befriedigen. »Kannst du mir sagen, warum Mackenzie herkommt? Mit wem will sie in Kontakt treten?«
»Sie sucht nach einem verlorenen Testament, das ihrer Seite der Familie diese absolut riesige Erbschaft hinterlassen würde. Langsam wird die Zeit knapp. Sie ist schon bei ihren letzten zehn Millionen.«
»Ich glaube dir nicht.«
»Was genau nicht?«
»Alles, wahrscheinlich.«
»Glaub es doch. Versuch es. Es macht Spaß.« Er grinste. »Nimm mich, ich glaube die verrücktesten Dinge, und es ist sehr amüsant.«
»Zum Beispiel?«
»Einfach alles. Akupunktur, Aromatherapie, Entführung durch Aliens – und das ist nur der Buchstabe ›A‹. Regierungskomplotte, die Macht der Meditation, dass Elvis lebt und in einem Taco Bell in North Dakota arbeitet … ich glaube einfach alles. Teste mich.«
»Eh … Wiedergeburt?«
»Tick.«
»JFK ist von der CIA umgebracht worden?«
»Tick.«
»Die Pyramiden sind von Wesen aus dem All erbaut worden?«
»Tick.«
Er hing an meinen Lippen und konnte sich kaum bändigen, so scharf war er darauf, wieder »Tick« sagen zu können, als Liesl den Flur entlangkam. Sie begann zu strahlen wie der Times Square am Abend, als sie mich sah. »Anna! Ich bin so froh, dass du wieder da bist.« Sie drückte mich an ihre ausgeleierte Dauerwelle. »Ich hoffe sehr, dass du diese Woche eine bessere Nachricht bekommst.« Steffi, das junge, unscheinbare Mädchen, war neben ihr und lächelte schüchtern und sagte, sie freue sich, mich zu sehen, ebenso Carmela, eine der älteren Damen mit Gummizughose, und dann die blendend aussehende Mackenzie. Sogar der Untote Fred erklärte, er sei froh, dass ich da sei.
Ich spürte eine Woge der Wärme und Dankbarkeit …
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