(nickend): Also wird es noch eine Weile dauern, bis sie versuchen mich umzulegen.
Er: Ja, du hast massenhaft Zeit.
Das war einfach zu weit gegangen. Ich schrieb sofort eine Antwort an Helen.
An:
[email protected] Von:
[email protected] Thema: Todesdrohung
Helen, das ist jetzt nicht mehr lustig. Wenn wirklich jemand versucht, dich zu erschießen – und ich kann mir nicht vorstellen, dass du bei einer so ernsten Sache lügen würdest –, musst du sofort damit aufhören. Auf der Stelle!
Anna
Mit zitternden Fingern schickte ich die Mail an Helen, dann schrieb ich an Neris und fragte, ob mein Termin mit ihr auf den Tag danach verlegt werden konnte. Oder den davor. Oder am selben Tag, aber früher. Oder später. Nur nicht um 8.30 Uhr am 6. Oktober. Aber es war nicht möglich. Ich bekam umgehend die Antwort, dass ich wieder ganz nach hinten fallen würde, wenn ich den Termin nicht wahrnehmen konnte, und erneut zehn bis zwölf Wochen warten müsste.
Doch das hielt ich nicht aus! Das konnte ich nicht! Ich musste unbedingt mit Aidan sprechen, und ich hatte so lange gewartet und war so geduldig gewesen.
Nur, wenn ich die Präsentation verpasste, würde man mich feuern. Daran gab es nichts zu rütteln. Konnte ich aber nicht jederzeit eine andere Arbeit finden? Wer weiß, vielleicht nicht. Besonders, wenn ein möglicher zukünftiger Arbeitgeber herausfand, warum ich rausgeflogen war – weil ich zu der wichtigsten Präsentation, die je in der Agentur stattgefunden hatte, nicht erschienen war. Und meine Arbeit war absolut wichtig für mich. Ich brauchte sie, sie hielt mich aufrecht. Sie war der Grund, warum ich morgens aufstand, sie lenkte mich ab. Ganz abgesehen davon, dass ich dafür bezahlt wurde, was lebenswichtig war, da ich bis Oberkante Augenbraue verschuldet war. Ich hatte zweieinhalbtausend auf ein anderes Konto überwiesen, als ich von Neris Hemming erfuhr, sodass wenigstens dieses Geld gesichert war. Davon abgesehen bezahlte ich monatlich bei allen Kreditkarten nur den Mindestbetrag ab. Ich hatte sehr erfolgreich alle Angst verdrängt, aber der Gedanke, arbeitslos zu sein, weckte sie erneut. Ich hatte mal gelesen, dass den durchschnittlichen New Yorker nur zwei Gehaltsschecks vom Leben auf der Straße trennten. Solange ich Geld verdiente, konnte ich weiter mitmischen, doch schon zwei Wochen ohne Einkommen konnten alles zum Einsturz bringen. Wahrscheinlich müsste ich die Wohnung aufgeben, vielleicht müsste ich sogar nach Irland zurück. Und das ging nicht, ich musste in New York sein, um in Aidans Nähe zu sein. Ich musste bei der Präsentation erscheinen.
Plötzlich war ich wütend: Wenn ich nun wirklich ernstlich krank wäre? Wenn ich Krebs hätte und an dem Morgen der Devereaux-Präsentation meinen ersten Termin für eine lebensrettende Strahlentherapie hätte? War Franklin nicht einfach unmenschlich? Trieb er das mit der Arbeitsethik nicht ein bisschen zu weit?
Ich versuchte, andere Auswege aus dem Dilemma zu finden: Ich konnte Neris in einem Coffee-Shop von meinem Handy aus anrufen, dann wäre ich gleich nach neun in der Agentur. Ich könnte sie sogar von meinem Schreibtisch aus anrufen. Außer dass das nicht ging, denn dann würde ich mein Gespräch mit Aidan nicht voll auskosten können.
Die Dinge wurden klarer, ich hatte meine Entscheidung getroffen.
Ich ging zu Franklin an seinem Schreibtisch.
»Kann ich mit dir sprechen?«
Er nickte kalt.
»Franklin, ich kann bei der Präsentation nicht dabei sein. Jemand anders könnte doch meinen Part übernehmen. Vielleicht Lauryn.«
Genervt antwortete er: »Wir brauchen dich, du bist die mit der Narbe. Lauryn hat keine Narbe.« Einen Moment schwieg er, und ich bin mir sicher, er überlegte, ob er Lauryn zu einer Narbe verhelfen könnte. Aber er kam wohl zu dem Schluss, dass das nicht ging, denn er fragte: »Was für eine Krankheit hast du denn?«
»Es ist was, eh, Gynäkologisches.« Das hielt ich für das Sicherste, wo er doch ein Mann war. In anderen Situationen hatte es immer prächtig funktioniert – wenn ich den Nachmittag blau machen wollte, sagte ich einem Vorgesetzten, ich sei »unpässlich«. Normalerweise konnten sie mich nicht schnell genug loswerden, man konnte den Schrecken in ihren Gesichtern sehen: Sag bloß nichts von Menstruation. Doch Franklin sprang von seinem Stuhl auf, packte mich beim Handgelenk und zog mich hinter sich her an den Schreibtischen vorbei.
»Wohin gehen wir?«
»Zu Mommy.«
Mist, Mist,