Erdbeermond: Roman (German Edition)
gleich dachten. Wir wussten, welche Zukunft uns erwartete – wir würden an einen Ort gebunden sein, an langweilige, nervenzermürbende Jobs gekettet, weil wir ein Haus, das wir nicht mochten, abbezahlen mussten –, und wir wollten anders leben.
Wir gingen also auf Reisen, was überhaupt nicht gut ankam. Maggie sagte über uns: »Sie sagen, dass sie sich eben mal ein Kitkat holen, und wenn man wieder von ihnen hört, arbeiten sie in einer Gerberei in Istanbul.« (Das ist so nicht passiert.) (Ich glaube, sie meinte das eine Mal, als wir eine Dose Lilt gekauft haben und dann spontan beschlossen, ein Boot zu mieten und um die griechischen Inseln zu schippern.)
In der Mythologie der Familie Walsh klang es so, als wären Shane und ich arbeitsscheues Gesindel, aber die Arbeit in einer Konservenfabrik in München war körperlich sehr anstrengend. Und in einer Bar in Griechenland zu bedienen, hieß, bis spät in die Nacht zu arbeiten und – noch schlimmer – nett zu Leuten zu sein, und jeder weiß, dass es nichts Schwierigeres gibt.
Wenn wir nach Irland zurückkamen, hieß es: »Ach, da sind ja unsere stinkigen Hippies, jetzt wollen sie schnorren, versteckt eure Schokolade.«
Doch das machte mir nicht wirklich was aus – ich hatte Shane, wir waren in unsere kleine Welt eingesponnen, und ich glaubte, das würde immer so weiter gehen.
Dann trennte Shane sich von mir.
Abgesehen von der Traurigkeit, der Einsamkeit, der Verletztheit und der Erniedrigung, die mit einem gebrochenen Herzen einhergehen, fühlte ich mich betrogen: Shane hatte sich die Haare schneiden lassen und sah richtig anständig aus und war in die Geschäftswelt eingestiegen. Zugegeben, es war ein cooles Unternehmen und hatte mit digitaler Musik und CDs zu tun, doch nachdem er die kapitalistische Wirtschaft so lange geschmäht hatte, war ich entsetzt, wie schnell er sich von ihr einfangen ließ.
Ich war achtundzwanzig und hatte nichts außer den Fransenröcken, die ich trug, und all die Jahre, in denen ich gereist war, schienen vergeudet. Es war eine wahrhaft schreckliche Zeit, und ich irrte umher wie eine verlorene Seele, richtungslos und verängstigt, und damals nahm Maggies Mann Garv mich unter seine Fittiche. Als Erstes verschaffte er mir eine feste Stelle, und obwohl die Arbeit in der Poststelle einer Steuerkanzlei nicht gerade sehr aufregend ist, war es doch ein Anfang.
Dann überredete er mich, aufs College zu gehen, und plötzlich kam mein Leben wieder in die Gänge und bewegte sich mit einiger Geschwindigkeit in eine ganz andere Richtung. In kürzester Zeit lernte ich Auto fahren, kaufte ein Auto und ließ mir die Haare zu einer richtigen, wartungsfreundlichen Frisur schneiden – kurzum, etwas später als andere Menschen schaffte ich es, mein Leben in geregelte Bahnen zu lenken.
ACHT
Wie Aidan und ich uns zum zweiten Mal begegneten
Ein gedrungener Mann mit breiter Brust schlang einen Arm, der wie ein Schinken war, um meinen Hals, ließ ein kleines Plastiktütchen mit einem weißen Pulver darin vor meiner Nase baumeln und sagte: »He, Morticia, ein bisschen Koks?«
Ich entwand mich ihm und entgegnete höflich: »Nein, danke.«
»Ach, sei nicht so«, sagte er ein bisschen zu laut. »Ist doch eine Party.«
Ich suchte die Tür. Das hier war schrecklich. Man sollte denken, wenn jemand einen klasse Loft mit Blick über den Hudson hat, sich ein profihaftes Soundsystem und haufenweise Getränke hinstellt und eine Menge Leute einlädt, hätte er eine tolle Party.
Aber irgendwas funktionierte nicht. Ich schob es auf Kent, den Typen, der die Party gab. Er war ein erfolgreicher Banker, und der Loft war voll von seinesgleichen, alles Typen, die keine Stärkung für ihr Selbstbewusstsein brauchten, sie waren schon schlimm genug au naturel , ohne dass man noch Kokain hinzugab.
Die Gäste sahen wirr aus und irgendwie verzweifelt, als müssten sie sich sehr anstrengen, sich zu amüsieren.
»Ich heiße Drew Holmes.« Der Mann wedelte mit dem Beutelchen wieder vor meinem Gesicht. »Versuch’s doch mal, es ist klasse, du wirst schon sehen.« Er war der Dritte, der mir Koks anbot, und irgendwie war es auch süß, als hätten sie Drogen gerade entdeckt.
»Die achtziger Jahre werden immer mit uns sein«, sagte ich. »Nein, danke. Ehrlich.«
»Ein bisschen zu wild, was?«
»Genau. Zu wild.«
Ich sah mich nach Jacqui um, sie war an allem schuld, sie arbeitete mit Kents Bruder zusammen. Aber ich sah nur eine Menge Dummköpfe mit riesigen Pupillen und
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