Erdbeermond: Roman (German Edition)
Schloss steckte – und Rachel bestand darauf, dass ich aufmachen sollte, und nicht sie –, spürte ich, dass jemand in der Wohnung war, und wäre vor Erleichterung fast zusammengebrochen. Gott sei Dank . Doch dann stellte ich fest, dass es Jacqui war. Freundlicherweise war sie gekommen, damit ich nicht in eine leere Wohnung kam, aber meine Enttäuschung war so groß, dass ich in allen Zimmern nachsah, für alle Fälle.
So viele Zimmer waren es auch nicht. Es gab ein Wohnzimmer mit einer Mini-Küche an einem Ende, ein Badezimmer ohne Badewanne, nur mit Dusche, und nach hinten raus unser düsteres Schlafzimmer mit einem winzigen Fenster zu einem Lichtschacht (eine Wohnung mit richtigen Fenstern konnten wir uns nicht leisten). Aber wir hatten die Wohnung gemütlich eingerichtet: ein schönes großes Bett mit einem geschnitzten Kopfteil, ein Sofa, das so breit war, dass wir beide darauf liegen konnten, und lebenswichtige Accessoires wie Duftkerzen und ein Flat-Screen-Fernseher.
Ich humpelte von einem Zimmer zum anderen, ich guckte sogar hinter den Duschvorhang, aber er war nicht da. Wenigstens waren die Fotos von ihm noch an der Wand – niemand hatte sie aus lauter Mitgefühl runtergenommen.
Rachel und Jacqui taten so, als wäre alles ganz normal, und als Jacqui lächelte, starrte ich sie schockiert an. »Was ist mit deinen Zähnen passiert?«
»Geschenk von Lionel 9.« Irgend so ein Rap-Star. »Er kam um vier Uhr morgens auf die Idee, sich seine Zähne vergolden zu lassen. Ich stöberte einen Zahnarzt auf, der dazu bereit war. Lionel war so dankbar, dass er mir zwei vergoldete Eckzähne schenkte. Ich finde sie widerlich«, sagte sie. »Ich sehe aus wie Dracula. Aber ich kann sie mir erst wegmachen lassen, wenn er nicht mehr in der Stadt ist.«
Rachel klatschte in die Hände und sagte mit munterer Stimme: »Essen! Es ist wichtig, dass man isst. Was sollen wir denn essen?«
»Pizza?«, fragte Jacqui mich.
»Ist mir recht, ich habe schließlich keine vergoldeten Zähne.« Ich gab ihr das Faltblatt von der Pizzeria Andretti. »Bestellst du?«
»Besser, du machst es selbst«, sagte Rachel.
Ich sah sie düster an.
»Tut mir Leid«, sagte sie verlegen, »aber es ist besser.«
»Wenn ich bestelle, vergessen sie immer den Salat.«
»Wenn es denn so sein muss …«
Ich rief also bei Andretti an, und wie ich vorhergesagt hatte, vergaßen sie den Salat.
»Seht ihr?«, sagte ich in schwachem Triumph. »Ich habe euch gewarnt.«
Aber keine von beiden reagierte, und als wir gegessen hatten, legte Jacqui einen dreißig Zentimeter hohen Stapel Post auf den Tisch.
Ich nahm den Stapel, legte ihn in den Schrank und schloss die Schranktür.
»Eh … willst du sie nicht aufmachen?«
»Nicht jetzt.«
Unbehagliches Schweigen.
»Ich bin gerade erst angekommen«, sagte ich abwehrend. »Lasst mir Zeit.«
Es war seltsam, zu sehen, wie die beiden sich gegen mich verbündeten. Nicht, dass sie sich nicht mögen – das trifft es nicht ganz –, aber Rachels Motto lautete: »Das unreflektierte Leben lohnt sich nicht zu leben«, während das von Jacqui lautete: »Unser Leben währt nicht lange, aber es soll Spaß machen.«
Keine hatte mir gegenüber je etwas Böses über die andere gesagt, aber wenn sie es täten, würde Rachel sagen, dass Jacqui zu oberflächlich sei, und Jacqui würde sagen, dass Rachel die Dinge zu schwer nehme.
Ihre Unterschiedlichkeit manifestierte sich beim Thema Luke, denn Jacqui würde, wenn man sie befragte, zugeben, dass ihrer Meinung nach Luke an Rachel mit ihrer Vorliebe, früh ins Bett zu gehen, verschwendet sei.
Rachel jedoch hat einmal durchblicken lassen, dass das einzige Laster, das ihr noch blieb, Sex sei, worauf ich mir sofort vorgestellt habe, dass es bei ihr und Luke heiß hergeht. Aber darüber möchte man lieber nicht zu lange nachdenken, bei niemandem.
Nach einem weiteren längeren Schweigen sagte ich: »Und Jacqui? Was ist mit dir? Hast du Buzz inzwischen verwunden?«
Buzz war Jacquis ehemaliger Freund. Er war das ganze Jahr über braun und hatte jede Menge Selbstbewusstsein und Geld. Außerdem war er ziemlich grausam – oft hat er Jacqui stundenlang in einer Bar oder einem Restaurant warten lassen, und dann hat er frech erklärt, sie hätte sich in der Zeit oder im Ort geirrt.
Er behauptete, Rosa sei Grün, einfach nur so, versuchte Jacqui zu einem flotten Dreier mit einer Prostituierten zu überreden, fuhr einen roten Porsche – erbärmlich prollig – und wollte, dass der Mann
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