Erdbeermond: Roman (German Edition)
soll ich dich jetzt erreichen?«, fragte ich ins Zimmer hinein.
Ich zählte auf die zwei Gespräche am Tag, darauf, zweimal täglich seine Stimme zu hören. Natürlich hatte er mir nicht geantwortet. Aber es hatte mir geholfen. Es hatte mich halbwegs davon überzeugt, dass wir noch miteinander in Kontakt waren.
Das Bedürfnis, mit ihm zu sprechen, war plötzlich so groß, dass ich es nicht mehr aushielt: Ehe ich mich’s versah, hatte ich einen heftigen Schweißausbruch und musste ins Bad laufen, um mich zu übergeben.
Zehn, fünfzehn Minuten vergingen, mein Kopf ruhte an dem kühlen Porzellan, und ich war nicht in der Lage aufzustehen.
Ich musste mit ihm sprechen. Ich hätte alles, was ich besaß, gegeben, ich wäre bereit gewesen, selbst in den Tod zu gehen, wenn ich fünf Minuten mit ihm hätte sprechen können.
VIER
Ich duschte noch einmal, zog mich an – ein Pucci-Kleid mit Kringelmuster und eine Jacke von Goodwill – und war so spät dran, dass ich Lauryn anrief und sagte, ich würde direkt zu meinem Termin um zehn Uhr gehen. Ich suchte Promotion-Möglichkeiten für You Glow Girl! (Das neueste Rouge. Mehr ließ sich darüber nicht sagen. Eine »kleine« Einführung, was bedeutete, dass es nicht viel Geld dafür gab.) Angesichts der begrenzten Finanzen dachte ich daran, den Beauty-Redakteurinnen je eine Lampe zu schenken (und auf diese Weise geschickt das Thema glühender Wangen aufzugreifen).
Um zehn Uhr hatte ich einen Termin bei einem Großhändler in der 41 sten Straße West, der ungewöhnliche Lampen importierte, solche in der Form eines Heiligenscheins – man klemmte sie an den Badezimmerspiegel und sah im Spiegel aus wie eine Heilige –, oder in Flügelform – man befestigte sie hinter dem Sofa und hatte, wenn man an der richtigen Stelle saß, Engelsflügel.
Das Taxi hielt auf der falschen Straßenseite, und als ich darauf wartete, die Straße zu überqueren, sah ich einen Mann, den ich kannte, und nickte ihm automatisch zu. Dann wurde mir bewusst, dass ich mich nicht mehr erinnerte, woher ich ihn kannte, und dass ich möglicherweise eine Berühmtheit gegrüßt hatte. Das hatte Rachel einmal gemacht: Sie hatte Susan Sarandon auf der Straße angehalten und sie ausgefragt, woher sie sich kannten. Gingen sie ins selbe Fitnessstudio? War sie eine »Freundin von Bill«? Hatte sie sie bei der Hautärztin gesehen? Dann sagte Rachel mit schwacher Stimme: »Thelma & Louise« und schlich davon.
Aber der geheimnisvolle Mann blieb stehen und sprach mich an.
»Hallo, Kleine«, sagte er. »Wie geht’s?«
»Gut.« Ich nickte verzweifelt.
»Du bist doch Rachels Schwester, nicht? Ich bin Angelo. Wir haben uns den einen Morgen in Jenni’s Café gesehen.«
Wie hatte ich ihn vergessen können? Er sah so ungewöhnlich aus, mit seinem hageren, langen Gesicht, den tief liegenden Augen, den langen Haaren und der Red-Hot-Chili-Pepper-Ausstrahlung.
»Wird es langsam besser?«, fragte er.
»Nein. Es ist alles ganz schrecklich. Heute besonders.«
»Wollen wir einen Kaffee trinken gehen?«
»Ich kann nicht. Ich habe einen Termin.«
»Ich gebe dir meine Nummer. Ruf mich an, wenn du mal sprechen möchtest.«
»Danke. Aber ich bin nicht süchtig.«
»Das macht nichts. Das spricht nicht gegen dich.«
Er kritzelte etwas auf ein Stück Papier. Ich nahm es halbherzig entgegen und sagte: »Ich heiße Anna.«
»Anna«, wiederholte er. »Pass gut auf dich auf. Tolle Klamotten, übrigens.«
»Bis dann«, sagte ich und ließ das Stück Papier in meine Tasche fallen.
Ich ging zu dem Termin, war aber nicht in Form. Ich schaffte es nicht, mit dem Herrn der coolen Leuchten hart zu verhandeln, und zog ab, ohne ein Ergebnis erzielt zu haben.
Als ich wieder auf der Straße war und im Gehen nach einem Taxi Ausschau hielt, reichte mir jemand einen Handzettel. Normalerweise werfe ich diese Zettel in den ersten Abfalleimer, denn in dieser Gegend wird laufend mit dem Verkauf von »DesignerSachen« geworben, was die Touristen anlocken soll. Doch aus irgendeinem Grund las ich diesen Zettel.
Das Reich jenseits der Sinne
Blicken Sie in die Zukunft.
Finden Sie Antworten auf Ihre Fragen aus dem Jenseits.
Ein Medium mit der Gabe des zweiten Gesichts hilft Ihnen.
MORNA
Unten auf dem Blatt war eine Telefonnummer abgedruckt, und plötzlich wurde ich von einer Erregung gepackt, die an Wahnsinn grenzte. Finden Sie Antworten auf Ihre Fragen aus dem Jenseits. Ich blieb unvermittelt auf dem Gehweg stehen und verursachte einen kleinen
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