Erdbeermond: Roman (German Edition)
dass ich ihn beinah riechen, fast seinen Atem hören konnte. Und als ich meine Augen aufmachte und sah, dass ich zwar im Bett lag, dass aber da, wo Aidan sein sollte, nur gähnende Leere war, schrie ich gequält auf. Ich klang wie ein Tier. Ich rollte mich zusammen, drückte mir Dogly an den Bauch und versuchte, den Schmerz zu beschwichtigen, indem ich mich hin- und herwiegte. Als das nicht funktionierte, schaltete ich den Fernseher an. Dallas . Zwei Folgen hintereinander. Ein Glücksfall.
Sie endeten kurz nach sieben. Spät genug, um für die Arbeit aufzustehen. Ich gab mir Mühe, nicht vor acht Uhr dort zu sein, doch an manchen Tagen ertrug ich es einfach nicht, wach im Bett zu liegen, und saß um halb sieben an meinem Schreibtisch.
Aktiv bleiben, arbeiten, arbeiten, die Tage hinter sich bringen, das war das Geheimnis.
Manchmal konnte ich mich sogar in der Arbeit verlieren und mich an einen anderen Ort versetzen, wo meine Vorstellung das Kommando hatte und ich nicht mehr ich selbst war. Aber nur kurz.
Es war natürlich alles andere als leicht: Da waren zum Beispiel die Lunch-Termine. Auch vor Aidans Tod hatte ich die Lunch-Termine gefürchtet. Beauty-Redakteurinnen zum Essen in schicke Lokale auszuführen, gehörte zu meiner Arbeit, ich musste es zwei-, dreimal die Woche tun, und es war immer schwierig, weil es wie ein Wettbewerb war, wer am wenigsten aß. Manchmal kamen die Journalistinnen mit einer Kollegin, sodass noch eine mehr dabei war, die ein Dessert, das wir zu dritt bestellt hatten, nicht aß. Es war wie ein Boxkampf – wer würde zum ersten Schlag ausholen? Wer die erste Gabel voll nehmen? Wir belauerten uns gegenseitig, aber da ich die Gastgeberin war, war es meine Pflicht, den Anfang zu machen. Ich musste allerdings sehr vorsichtig vorgehen, denn wenn man zu viel aß, ruinierte das den Ruf.
Im ersten Monat nach meiner Rückkehr brauchte ich keine Lunch-Termine wahrzunehmen – nicht aus Mitleid, sondern weil meine Narbe so schlimm aussah und Ariella mich für nicht vorzeigbar hielt. Doch dank meiner Vitamin-E-Kapseln und einer gut deckenden Abdeckcreme war die Narbe bald nicht mehr so auffällig, und Lunch stand wieder auf dem Programm. Ich überstand es nur, wenn ich Brooke mitnahm, sofern sie zur Verfügung stand. Sie war wie vom Himmel gesandt, wirklich wahr. Ihr unglaubliches Talent, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen, lenkte von meinen ungeschickten, marionettenhaften Versuchen, die Gastgeberin zu spielen, ab. Sie blendete die Journalistinnen mit Einzelheiten aus ihrem extrem glanzvollen Leben, ohne je so zu klingen, als würde sie angeben, und ich versuchte zu lächeln und Essen durch meine Kehle zu zwängen. Manchmal – etwas zu häufig, um ehrlich zu sein – vergaß ich, die erste Gabel von dem Dessert zu nehmen; dann stand die Schokoladencremetorte, oder was wir bestellt hatten, mitten auf dem Tisch, bis Brooke sagte: »Also ich weiß ja nicht, wie ihr das seht, Mädels, aber ich muss jetzt mal diese köstliche Nachspeise probieren«, woraufhin alle wie wild zuschlugen.
Ich zwang mich, unter die Dusche zu gehen, und als ich danach das Telefon nahm und Aidans Nummer anrief, passierte es. Ich saß zusammengerollt auf dem Sessel und wartete auf den Balsam seiner Stimme – doch statt seiner Ansage war da nur so ein Piepston zu hören. Hatte ich die falsche Nummer gewählt? Das Gefühl eines drohenden Verhängnisses senkte sich auf mich. Meine Finger zitterten so sehr, dass ich kaum die Tasten drücken konnte. Ich hielt den Atem an und betete, dass alles so war wie immer, ich wartete auf seine Stimme, aber es kam wieder nichts außer dem Piepston: Sein Handy war abgeschaltet worden.
Weil ich die Rechnung nicht bezahlt hatte.
Bis dahin hatte ich geglaubt, das Telefon sei als ein Akt kosmischer Freundlichkeit eingeschaltet geblieben, aber der Grund war einfach der, dass er im Voraus die Gebühren bezahlt hatte. Und jetzt war es abgeschaltet worden, weil ich die Rechnung nicht bezahlt hatte.
Abgesehen von der Miete für die Wohnung hatte ich keine Rechnungen bezahlt. Leon und ich sollten über meine finanzielle Situation sprechen, aber Leon konnte nicht lange genug aufhören zu weinen, sodass wir nicht dazu kamen. Vor Panik atemlos wählte ich die Nummer von Aidans Büro, aber ein anderer – einer, der nicht Aidan war, klar – nahm ab und sagte: »Andrew Russell.« Ich legte auf. Mist.
Mist. Mist. Mist.
Mir war so schwindlig, dass ich dachte, ich würde ohnmächtig. »Und wie
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