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Erdbeermond: Roman (German Edition)

Erdbeermond: Roman (German Edition)

Titel: Erdbeermond: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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Stau. »Arschloch«, sagte jemand. »Touristin«, ein anderer, was eine viel schlimmere Beleidigung war.
    »Sorry«, erwiderte ich. »Sorry, sorry.« Ich rettete mich aus der vorwärts drängenden Menschenmenge in einen Eingang, zog mein Handy aus der Tasche und drückte mit zitternden Fingern die angegebene Nummer. Eine Frau war dran.
    »Sind Sie Morna?«, fragte ich.
    »Ja.«
    »Ich möchte mir wahrsagen lassen.«
    »Können Sie jetzt kommen? Ich habe noch eine Lücke.«
    »Sicher! Ja! Natürlich!« Die Arbeit war mir glatt egal!
    Morna beschrieb mir den Weg zu einer Wohnung zwei Straßen weiter.
    In dem rumpelnden Aufzug klopfte mein Herz so heftig, dass ich mich fragte, wie es wohl bei einem Herzinfarkt war.
    Auf der 41sten Straße einen Handzettel zu bekommen, der keinen Verkauf von »Designer-Sachen« ankündigte – diese Chance war doch äußerst gering. Und dann sofort einen Termin bei Morna zu bekommen. Das konnte kein Zufall sein! Einen Moment gestattete ich mir meine größte Wunschvorstellung – Aidan, wenn sie jetzt Kontakt zu dir herstellt? Wenn wir wirklich Kontakt miteinander haben? Wenn ich sogar mit dir sprechen kann?
    Den Tränen nahe aus Erregung, Hoffnung, Verzweiflung fand ich Mornas Wohnung und klingelte.
    Eine Stimme rief durch die Tür: »Wer ist da?«
    »Ich bin Anna. Ich habe vor ein paar Minuten angerufen.«
    Ich hörte das Rasseln von Ketten, die zurückgezogen, und das Kratzen von Schlüsseln, die gedreht wurden, dann öffnete sich die Tür.
    In meiner übergroßen Hoffnung hatte ich mir Morna in fließenden, mit Perlen bestickten Gewändern vorgestellt, das graue Haar schlecht geschnitten und die weisen alten Augen mit pechschwarzem Kajal umrandet, in einer höhlenartigen Wohnung, in der es rote Samtdecken und Lampenschirme mit Fransen gab.
    Doch dies war eine gewöhnliche Frau – Mitte dreißig vielleicht – in einem dunkelblauen Jogginganzug. Ihr Haar war ungewaschen, und ob ihre Augen weise waren, konnte ich nicht feststellen, weil sie jeden Blickkontakt mied.
    Auch ihre Wohnung war eine Enttäuschung: In der Ecke lief der Fernseher, Kinderspielzeug lag auf dem Boden herum, und in der Luft hing der deutliche Geruch von Toast.
    Morna drehte den Ton am Fernseher leiser, führte mich zu einem Hocker an der Frühstücksbar und sagte: »Fünfzig Dollar für fünfzehn Minuten.«
    Das war viel, aber ich war so erregt, dass ich einfach »okay« sagte.
    Mein Atem ging kurz und flach, und ich nahm an, dass Morna meinen aufgewühlten Zustand bemerken und entsprechend mit mir umgehen würde. Aber sie kletterte nur auf den Hocker mir gegenüber und schob mir einen Satz Tarotkarten hin. »Heben Sie ab.«
    Ich zögerte. »Statt Kartenlegen, könnten Sie Kontakt zu …« Wie sollte ich das sagen? »…jemandem, der gestorben ist, aufnehmen?«
    »Das kostet mehr.«
    »Wie viel?«
    Sie musterte mich. »Fünfzig?«
    Ich zögerte. Es ging mir nicht ums Geld, aber ich hatte plötzlich den unangenehmen Verdacht, dass ich übers Ohr gehauen wurde. Dass sie gar kein Medium war, sondern nur eine geschäftstüchtige Frau, die nichts ahnende Touristen ausnahm.
    »Vierzig«, sagte sie, was meinen Verdacht bestätigte.
    »Es ist nicht das Geld«, sagte ich, fast in Tränen. Meine Hoffnung hatte sich in Enttäuschung verwandelt. »Es ist bloß – wenn Sie kein Medium sind, sagen Sie es mir. Es ist wichtig.«
    »Sicher, ich bin ein Medium.«
    »Sie treten mit Menschen, die gestorben sind, in Kontakt?«
    »Ja. Wollen Sie fortfahren?«
    Was konnte ich verlieren? Ich nickte.
    »Gut. Fangen wir also an.« Sie presste die Finger an die Schläfen. »Sie sind Irin, richtig?«
    »Richtig.« In gewisser Weise wünschte ich, ich hätte gesagt, ich sei aus Usbekistan, weil es mir unbehaglich war, ihr Informationen zu geben, die sie nicht aus dem Jenseits erfahren hatte, aber ich wollte nicht alles zerstören.
    Sie warf einen hastigen Blick auf meine Kleider, meine Narben und meinen Ehering.
    »Ich habe hier jemanden.«
    Meine Erregung nahm zu.
    »Eine Frau.«
    Meine Erregung ließ wieder nach.
    »Ihre Großmutter.«
    »Welche Großmutter?«
    »Sie sagt, sie heißt … Mary?«
    Ich schüttelte den Kopf. Keine Großmutter mit diesem Namen.
    »Bridget?«
    Wieder Kopfschütteln.
    »Bridie?«
    »Nein«, sagte ich entschuldigend. Ich finde es schrecklich, wenn solche Leute sich irren. Es ist mir so peinlich, ihretwegen.
    »Maggie? Ann? Maeve? Kathleen? Sinead?«
    Morna zählte alle irischen Namen auf, die sie je gehört hatte

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