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Erdbeermond: Roman (German Edition)

Erdbeermond: Roman (German Edition)

Titel: Erdbeermond: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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Zugegebenermaßen war ich sehr früh dran. Extrem früh. Und nachdem ich so weit gegangen war, konnte ich auch warten, ob jemand aufkreuzen würde.
    Ich setzte mich auf eine Bank im Flur und vertrieb mir die Zeit damit, die Vorgänge in dem Raum gegenüber zu beobachten.
    Acht junge, geschniegelte Männer – zwei Reihen mit je vier – stampften und sprangen durch den Raum und sangen dabei: »I’m gonna wash that – STAMPF – right out of my hair, I’m gonna wash that – STAMPF – right out of my hair, I’m gonna wash that – STAMPF – right out of my hair and send him on his waaaaaay.«
    Während die acht sangen, rief ein älterer drahtiger Mann ihnen Anweisungen zu: »Und DREHEN und SHIMMY und HÜFT-SCHWUNG und DREHEN, lächeln, Jungs, LÄCHELN, zum Teufel, und DREHEN und SHIMMY und … okay, stopp, aufhören, stopp, STOPP!« Das Klavier hörte auf zu spielen.
    »Brandon«, sagte der ältere Mann verdrießlich. »Schätzchen? Was ist nur mit deinem Shimmy? Ich stelle mir das so vor …« Er beugte sich vor und schüttelte seinen Oberkörper in einer fließenden Bewegung. »Und nicht …« Er wackelte unbeholfen mit den Schultern, als würde er sich durch eine Menschenmenge drängen.
    »Tut mir Leid, Claude«, sagte einer der jungen Männer – offenbar der arme Brandon mit dem miesen Shimmy.
    »So stelle ich mir das vor«, sagte Claude herrisch und demonstrierte die Schrittfolge: auf die Zehenspitzen, Drehung auf den Fußballen, Spagat in vollem Sprung, während er die ganze Zeit sein gruseliges, falsches Lächeln zur Schau trug. Am Schluss verbeugte er sich bis auf den Fußboden, während er seine Arme hinter sich wie Flugzeugflügel abspreizte …
    »Entschuldigung«, sagte jemand, »sind Sie wegen der Spiritualismussitzung hier?«
    Ich schoss herum. Ein junger Mann, wahrscheinlich Anfang zwanzig, sah mich interessiert an. Ich bemerkte, dass er meine Narbe registrierte, aber er schreckte nicht zurück.
    »Ja«, sagte ich vorsichtig.
    »Toll! Tut gut, mal ein neues Gesicht zu sehen. Ich bin Nicholas.«
    »Anna.«
    Er streckte mir die Hand entgegen, und angesichts seiner Jugend und seiner gepiercten Augenbraue war ich mir nicht sicher, ob er mir ganz normal die Hand geben wollte oder ob ihm eine komplizierte Begrüßung, wie sie bei jungen Leuten üblich ist, vorschwebte, aber es war dann doch ein normaler Handschlag.
    »Die anderen kommen sicherlich bald.«
    Dieser Nicholas war schlank und drahtig – seine Jeans hing lose an ihm runter – und hatte dunkles, hochgegeltes Haar, rote Sportstiefel und ein T-Shirt mit der Aufschrift: »Sei ohne Furcht. Sei ganz ohne Furcht.« Mehrere gewebte Armbänder waren um sein Handgelenk geschlungen, er hatte mindestens drei klobige Silberringe und auf seinem Unterarm eine Tätowierung, die ich erkannte, weil sie zurzeit heiß begehrt war: ein Symbol in Sanskrit, das so viel bedeutete wie: »Das Wort ist die Liebe«, oder »Liebe ist die Antwort.«
    Er sah völlig normal aus, aber das ist ja das Seltsame in New York: Der Wahnsinn tritt in den verschiedensten Formen und Gestalten auf. Die Spezialität sind verdeckt Wahnsinnige. In anderen Städten sind sie leichter zu erkennen – wenn jemand auf der Straße rumschreit und unsichtbare Feinde beschimpft oder in einer Napoleon-Verkleidung in die Apotheke geht, um Hustensaft zu kaufen, ist das der deutliche Beweis, dass er verrückt ist.
    Nicholas nickte zu den jungen Männern hinüber, die ihre Tanzschritte für South Pacific übten. »Ruhm ist teuer«, sagte er, »und man fängt genau hier an, dafür zu blechen.«
    Er sah normal aus. Er klang normal. Und plötzlich dachte ich: Vielleicht ist er ja normal. Ich war ja auch hier, und ich war nicht unnormal, ich hatte einen Verlust erlitten und war verzweifelt.
    Und da jetzt endlich jemand da war, wollte ich einiges herausfinden.
    »Nicholas, warst du … schon öfter … hier?«
    »Ja.«
    »Und derjenige, der die Kontakte herstellt …«
    »… Liesl …«
    »… Liesl. Kann sie richtig sprechen mit …« Ich wollte nicht »den Toten« sagen. »… der Welt der Geister?«
    »Ja«, sagte er und klang überrascht. »Das kann sie.«
    »Gibt sie Botschaften von Leuten … auf der anderen Seite weiter?«
    »Ja, sie hat wirklich diese Gabe. Mein Vater ist vor zwei Jahren gestorben, und mit Liesls Hilfe habe ich in den letzten zwei Jahren mehr mit ihm gesprochen als in meinem ganzen Leben davor.«
    Mit einem Mal war mir fast schlecht vor Erwartung.
    »Mein Mann ist gestorben«,

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