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Erdbeermond: Roman (German Edition)

Erdbeermond: Roman (German Edition)

Titel: Erdbeermond: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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den ich nicht mehr glaubte, einen Handel ab. Wenn Aidan heute mit mir in Kontakt tritt, mit mir spricht, dann … dann … ja was dann? Dann glaube ich wieder an dich. Das ist doch fair.
    Du siehst, sagte ich zu Aidan, du siehst, was ich versprochen habe. Wie weit ich zu gehen bereit bin. Jetzt musst du dich auch zeigen . Ich ging viel zu früh von zu Hause weg, nahm die Subway zur 42sten Straße und 7ten Avenue und ging quer rüber über die 7te, 8te, 9te Avenue, während mein Magen vor Nervosität Purzelbaum schlug.
    Je näher ich zum Hudson kam, desto öder wurde die Gegend, überall Lagerhäuser und Seemöwen. Dieser Teil von Manhattan war Welten von der 5ten Avenue entfernt. Die Gebäude waren niedriger, gedrungener, sie duckten sich am Gehweg, als hätten sie Angst, eins übergezogen zu bekommen. Hier war es immer kälter, und die Luft war anders, schärfer.
    Je weiter ich Richtung Westen ging, desto mehr beschlich mich die Angst. Hier konnte unmöglich eine Kirche sein. Was soll ich machen? , fragte ich Aidan. Weitergehen? Noch beklommener war mir zumute, als ich das Gebäude fand – es sah überhaupt nicht aus wie eine Kirche, eher wie ein umgebautes Lagerhaus. Aber nicht sehr umgebaut. Offenbar hatte ich einen schrecklichen Fehler gemacht.
    Aber in der Eingangshalle stand, dass die Kirche der Spiritualistischen Kommunikation im fünften Stock sei.
    Es gab sie also doch.
    Ein paar Leute gingen an mir vorbei zum Aufzug, und ich rannte, plötzlich von Glück erfüllt, hinter ihnen her und quetschte mich mit ihnen hinein.
    Es waren drei Frauen, ungefähr im gleichen Alter wie ich, und sie sahen sehr normal aus: Eine hatte eine Handtasche, die mit hundertprozentiger Sicherheit eine Marc Jacobs war, und eine andere hatte ihre Nägel mit – fast stockte mir der Atem – hellgelbem Candy-Grrrl-Chick-chickachicka-Lack lackiert. Wenn man bedenkt, wie viele Marken es gab, wie hoch standen da die Chancen? Ich wertete es als Zeichen.
    »Welcher Stock?«, fragte die mit der Marc-Jacobs-Tasche. Sie stand bei den Tasten.
    »Fünfter«, sagte ich.
    »Wir auch«, sagte sie und lächelte.
    Ich lächelte zurück.
    Anscheinend war es viel üblicher, dass man am Sonntagnachmittag mit den Toten sprach, als ich angenommen hatte. Ich folgte den dreien aus dem Aufzug und den Korridor mit Betonfußboden entlang in einen Raum, wo schon mehrere andere Frauen waren. Sie alle begrüßten sich untereinander, und eine exotisch gewandete Frau kam auf mich zu. Sie hatte lange dunkle Haare, trug ein schulterfreies Top, einen langen Rock mit Fransen (bei dessen Anblick ich mich in meine Teenagerzeit zurückversetzt fühlte) und jede Menge durchbrochenen Goldschmuck – um den Hals, um den Bauch und an den Armen und den Fingern.
    »Hi«, sagte sie, »Bauchtanz?«
    »Wie bitte?«
    »Sie kommen zum Bauchtanz?«
    Erst dann bemerkte ich, dass die anderen Frauen im Raum auch lange, mit Glöckchen behängte Röcke und dazu kleine bauchfreie Oberteile und glitzernde Schühchen trugen und dass die drei Frauen aus dem Aufzug ihre Straßenkleidung auszogen und in fransige, glitzernde Sachen stiegen.
    »Nein, ich wollte zu der Kirche der Spiritualistischen Kommunikation.«
    Sofort kam jedes Gespräch zum Erliegen, und alle machten die unmöglichsten Verrenkungen, um einen Blick auf mich zu werfen.
    »Dann sind Sie hier falsch«, sagte die Leiterin. »Wahrscheinlich den Korridor weiter runter.«
    Unter den Blicken der Bauchtänzerinnen verzog ich mich. Im Flur überprüfte ich die Nummer an der Tür. Es war 506, das Sprechen mit den Toten fand in Raum 514 statt.
    Ich ging den Flur entlang, auf beiden Seiten waren Räume. In einem sangen einige ältere Frauen If I Were a Rich Man , in einem anderen waren Menschen um etwas gruppiert, das wie ein Drehbuch aussah, und in einem dritten sang ein Mann mit einem wohlklingenden Bariton von der Windy City , während ein anderer ihn auf einem verstimmten Klavier begleitete.
    Überall klang es verdächtig nach Laientheater.
    Also hatte ich doch die falsche Adresse. Wie konnte hier eine Kirche sein? Ich guckte wieder auf mein Blatt Papier. Da stand Raum 514 – und es gab einen Raum 514, ganz am Ende des Flurs. Nichts daran sah aus wie eine Kirche, es war einfach ein leerer Raum mit zehn oder elf Stühlen auf einem staubigen, splitterigen Fußboden.
    Ich war verunsichert und überlegte, ob ich wieder gehen sollte. Ich meine, das hier war doch verrückt!
    Doch dann regte sich die Hoffnung. Hoffnung und Verzweiflung.

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