Erdbeermond: Roman (German Edition)
platzte ich heraus. »Ich will unbedingt mit ihm sprechen.«
»Sicher«, sagte Nicholas und nickte. »Aber du darfst nicht denken, dass Liesl wie eine Telefonistin ist. Wenn derjenige nicht kontaktiert werden will, kann sie ihm nicht nachjagen wie ein Hund.«
»Ich war bei einer Frau.« Ich sprach sehr hastig. »Sie hatte gesagt, sie könne wahrsagen, aber sie war eine Betrügerin. Sie behauptete, auf mir läge ein Fluch, und sie könne ihn vertreiben, für tausend Dollar.«
»Oh Mann, da muss man wirklich aufpassen.« Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Es gibt unheimlich viele, die die Situation von verletzbaren Menschen ausnützen. Liesl nimmt nur so viel, dass sie ihre Miete bezahlen kann. Hier kommt sie ja schon.«
Liesl war eine kleine Frau mit krummen Beinen und vielen Einkaufstüten; in einer davon sah ich eine Packung Tiefkühllasagne, von der Kondenswasser in der Tüte runterlief. Die lockigen Haare der Frau ergaben keine richtige Frisur: eine abgelaufene Dauerwelle.
Nicholas stellte mich ihr vor: »Das ist Anna, ihr Mann ist abgetreten.«
Sofort setzte Liesl ihre Einkauftüten ab und nahm mich in die Arme, wobei sie mein Gesicht in ihre Nackenbeuge zog, sodass ich in ihre dicken Haare atmete. »Du kommst drüber hinweg, Herzchen.«
»Danke«, murmelte ich mit lauter Haar im Mund und war den Tränen nahe, weil sie so freundlich war.
Sie ließ mich los und sagte: »Und das ist Mackenzie.«
Ich sah ein Mädchen den Korridor entlangkommen, als wäre sie auf dem Laufsteg. Eine Prinzessin von der Park Avenue mit Cindy-Crawford-Haaren, einer Dior-Handtasche unterm Arm und Sandalen mit Keilabsätzen, die so hoch waren, dass sich die meisten Menschen damit ihre Fußgelenke verstauchen oder zerren würden, was immer das Schlimmere ist.
»Sie nimmt hier teil?«, fragte ich.
»Jede Woche.«
So wie sie aussah, war sie in New York fehl am Platz. Jemand wie sie weilte Anfang September normalerweise in den Hamptons, in einem Sommerhaus im Kolonialstil. Ich war erleichtert. Mackenzie müsste sich eigentlich das beste Medium leisten können, das für Geld zu haben war, aber sie kam hierher. Dies musste also gut sein.
Hinter Mackenzie kam ein massiger, ein Meter fünfundneunzig großer Typ herbeigetrottet, der den Anzug eines Bestattungsunternehmers trug und ein grünlich-weißes Gesicht hatte. »Und das ist der Untote Fred«, flüsterte Nicholas. »Komm, wir bauen die Stühle auf.«
Liesl hatte etwas unheimlich klingende Cellomusik aufgelegt und zündete die Kerzen an, als andere »hereinströmten«.
Da war eine junge Frau mit rundlichem Gesicht, wahrscheinlich jünger als ich, aber sie sah aus, als hätte sie sich komplett aufgegeben, ein älterer Herr, klein und adrett mit Pomade im Haar, und eine Ansammlung älterer Frauen mit nervösen Zuckungen und Hosen mit Gummizug. Eine von ihnen hatte jedoch interessante Sandalen an: Sie sahen aus, als wären sie aus Reifengummi gemacht. Je länger ich sie betrachtete, desto besser gefielen sie mir. Ich wollte solche Sandalen nicht haben, keineswegs, solche Sachen hatte ich zur Genüge in der Agentur, aber sie waren eindeutig interessant.
Als wieder ein Mann hereinkam, packte Nicholas mich am Arm und sagte: »Das ist Mitch. Seine Frau ist abgetreten. Ihr habt wahrscheinlich viel gemeinsam. Komm, ich stelle dich vor.«
Er zerrte mich quer durch den Raum. »Mitch, das ist Anna. Ihr Mann ist abgetreten – wann? Vor ein paar Monaten? Sie ist von einem Arschloch von Wahrsagerin ausgenommen worden, die behauptet hat, auf ihr läge ein Fluch. Ich dachte, du kannst ihr vielleicht helfen. Erzähl ihr von Neris Hemming.«
Mitch und ich sahen uns an, und es war, als hätte ich einen elektrischen Zaun berührt, da war sofort ein Surren der Verbindung. Er verstand mich, er war der Einzige. Ich konnte in seine öde, verlassene Seele blicken und kannte das, was ich dort sah.
ZEHN
Alle setzten sich und nahmen ihre Nachbarn an der Hand. Ich fand einen Platz zwischen der Frau mit den Reifengummisandalen und dem pomadisierten Mann. Ich war froh, dass ich nicht den Untoten Fred an der Hand halten musste. Ich zählte zwölf in der Runde, einschließlich Liesl, und bei dem flackernden Kerzenlicht und den klagenden Cello-Klängen im Hintergrund war die Stimmung gut. Eindeutig ein Ort, an dem es den Toten angenehm sein könnte, sich zu zeigen.
Liesl gab eine kleine Einführung, hieß mich willkommen, erklärte, wir sollten tief atmen und unsere Mitte spüren, und äußerte ihre
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