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Erde

Erde

Titel: Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brin
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weniger hochherzig waren.
    Ab und zu während des Postappells fiel es Crat ein, sich zu fragen, warum Remi und Roland ihm niemals schrieben. Dann wurde es ihm plötzlich klar. Sie sind tot. Ich bin der letzte Siedler, der Quayle Highschool.
    Seltsam. Im Glauben, daß ihm ein kurzes Leben bestimmt sei, hatte Crat sich schon lange entschieden, ein Leben ohne Kompromisse zu führen. Immer war er es gewesen, der in Schwierigkeiten geriet, aus denen ihm seine stets verläßlichen Freunde anständig herausgeholt hatten.
    Jetzt gab es Remi und Roland nicht mehr. Aber er lebte noch. Wer konnte sich das vorstellen?
    Roland hatte aus irgendeinem Grunde Crat sein Bankkonto vermacht und zusätzlich seinen Helden-Bonus. Das sollte auch eine Auszeichnung sein. Die befand sich wahrscheinlich immer noch irgendwo draußen und folgte ihm um die ganze Welt in dem unzuverlässigen Verhau der materiellen Post. Was Rolands Geld anging… das hatte Crat alles verpraßt mit Kartenspiel und Runden zum Gedenken an seinen Freund. Aber den Orden wollte er nicht haben.
    Nach dem Postappell zog sich die dienstfreie Crew auf das Achterdeck zurück, wo drei geschäftstüchtige Annamesen ein scharfes Eigengebräu aus Tonkrügen verkauften. Während die Flottille nach dem Debakel mit den grünen Angreifern südwärts fuhr, entdeckte Crat, daß er jetzt das faul schmeckende Bier vertragen konnte. Das war ein Meilenstein, der zeigte, daß er sich anpaßte.
    Der Abend war dunkel, mit schwerem Gewölk, das die meisten Sterne verbarg. Ein perliger Schimmer im Westen wurde zu einem grellen Leuchten, sobald sich die Wolken teilten, um für kurze Zeit Mondlicht über das glatte Wasser zu ergießen.
    Am Schiffschnabel schienen zwei meditierende Gruppen sich zu einem schweigenden kontemplativen Entscheidungskampf zu rüsten. Sufis am Backbord und Neo-Zen-Adepten am Steuerbord. Anfänger beider Gruppen waren verdrahtet mit Monitoren für Gehirnwellen in der Größe von Fingerhüten, die zu Knopflautsprechern in Ohrstöpseln führten. Beide Seiten benutzten identische billige technische Hilfsmittel und behaupteten, das wäre eine echte Tradition, während die jeweils andere nur blendete. Wie dem auch sein mochte – wie die Mehrheit der Crew zog Crat anständigere traditionelle Formen der Berauschung vor.
    »…Der Kommodore versteht seine Karten verdammt falsch…«, sagte jemand im Dunkel hinter der hinteren Luke. »Das El-Niño-Ding… das sollte alle Fische hier zur westpazifischen Seite herübertreiben, etwa alle zehn oder elf Jahre. Aber der verfluchte Kommodore verfehlt sie bestimmt.«
    Jemand anders entgegnete: »Wie ich höre, kommt er jetzt öfter als alle zehn Jahre.« Crat wunderte sich, wer sie waren. Ihr Englisch war besser als durchschnittlich auf diesem Kahn.
    »Die ha’m de Ökologie verflixt sicher erwischt«, sagte jemand mit karibischem Akzent. »Alles ändert sich. Drum sag ich, hört nich auf die UNEPA-Bastarde! Die wissen nix besser als wir.«
    Ein anderer stimmte zu. »Ach, UNEPA. Die wollen uns tot, ganz wie Grüne, weil wir ihren stinkenden Planeten versauen. Könnten jeden falschen Fisch fangen. Ooh, schlimm! Besser, wir würden gleich verrecken. Tun vielleicht was in Vitamine. Machen uns still un ruhig.«
    Das war natürlich das ständige Gequatsche, auch wenn Chemiker des Ozeanstaates – auf Universitäten ausgebildete Männer und Frauen aus Ländern, die jetzt unter den steigenden Fluten ertrunken waren – von Schiff zu Schiff gingen, der Mannschaft zuredeten und sie drängten, die Pillen zu nehmen – verbreiteten sich Gerüchte wie Viren. Crat selbst war manchmal unsicher. Seine Müdigkeit kam wohl nicht bloß von der schweren Arbeit. Wahrscheinlich erklärte das auch seinen schwachen Geschlechtstrieb. Aber wenn er jemals finden sollte, daß jemand etwas ins Essen tat…
    Die alte Wut flackerte kurz auf, und er suchte sie zu dämpfen. Aber sie verschwand einfach von selbst. Er hob den Kopf, um über den Bug der Congo auf die nächtlichen Lichter der schwimmenden Stadt vor ihm zu blicken. Der alte Crat wäre schon losgegangen, begierig, den Rotlichtbezirk oder einen handfesten Krakeel zu finden. Jetzt konnte er nur noch an die sauberen, wenn auch fadenscheinigen Bettlaken der Baracken für Durchreisende und dann seinen morgigen Besuch auf dem Fleischmarkt denken.
    »Ah, da finde ich dich endlich. Tut mir leid, ich hatte mich verlaufen.«
    Crat blickte auf. Es war sein neuer Freund, der alte Zürcher, Peter Schultheiß. Sein

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