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Erde

Erde

Titel: Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brin
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Katakomben zu körperlicher Übung und menschlichem Kontakt. In der geduckten, festungsartigen Arche verbrachte sie jeden Tag neunzig Minuten mit ihrem einzigen Studenten. Sie beantwortete seine eifrigen Fragen mit eigenen Rätseln, staunte über seinen unersättlichen Geist und fragte sich, ob er je eine Chance bekommen würde, ihn zu entwickeln.
    Aber wenn sie dann unter der erbarmungslosen Sonne heimging, kam sie an hohen Termitenhügeln vorbei, erbaut von geduldigen, höchst geselligen Kreaturen in regelmäßigen Abständen zwischen den natürlichen Hügeln.
    Sie summten unablässig einen Kommentar, der in ihrem Kopf widerzuhallen schien, selbst nachdem der klapprige kleine Käfig angefangen hatte, sich in die kühle Stille des verlassenen Bergwerks zu senken und an einer Schicht zusammengepreßter Sedimente nach der anderen vorbeiglitt, um sie zu jenen Kavernen zu bringen, wo schwerarbeitende Männer wie homerische Gestalten unter der weit distanzierten Anleitung ihres Enkels für das Schicksal der Welt schufteten.
    Ihre Bemühungen waren für Jen natürlich von Interesse. Es sah allerdings nicht so aus, als ob jemand sie in diesem Moment benötigen würde. Und außerdem mußte sie sich um etwas noch Wichtigeres kümmern.
    Ihr Gedankengang. Er war kostbar und zart. Ein Faden der Konzentration, der unbedingt erhalten bleiben mußte… nicht für die Welt, aber um ihrer selbst willen. Das war eine egozentrische, sogar egoistische Haltung, aber Jen wußte schon längst, daß sie solipsistisch war. Außer während der Jahre, da ihre Kinder heranwuchsen, war dieser Zug des Gedankens für sie immer am wichtigsten gewesen. Und das war eine sehr große Idee.
    Aus dem Netz holte sie Hinweise bis hin zu Minsky und Ornstein, Pastor und Jaynes – und sogar dem guten alten Jung – und prüfte nach, wie jeder Denker mit dieser speziellen Vorstellung umgegangen war… daß einer bisweilen viele sein konnte, oder viele zu einem kombinieren.
    Ihr junger Schüler Nelson Grayson hatte dies wirklich getroffen mit seiner Fixierung auf ›Kooperation gegen Wettstreit‹. Diese Dichotomie lag jedem menschlichen Moralsystem zugrunde, jeder Ideologie und ökonomischen Theorie vom Sozialismus bis zum Libertinismus der freien Marktwirtschaft. Jeder versuchte, sie auf verschiedene Weisen zu lösen. Und jeder Versuch wühlte mehr Inkonsistenzen auf.
    Wie aber, wenn es letztlich eine falsche Dichotomie ist? Wie, wenn ich auf diese Verführer hereingefallen wäre – Platon und Kant und Hegel? Durch die ›wenn-dann‹-Kraft linearer Logik? Vielleicht gibt es im eigentlichen Leben weniger Widersprüchlichkeit, als wir sehen.
    Das Motto auf der alten amerikanischen Münze verfolgte sie. »Aus vielen eines.«
    Unsere Sub-Egos sind gewöhnlich nicht getrennt, außer bei der Unordnung gespaltener Persönlichkeit. Vielmehr verschmelzen und haften aneinander die Triebe und Impulse einer normalen Person. Sie verheiraten und scheiden sich, bilden zeitweilige Allianzen, um uns in bestimmten Wegen fühlen und handeln zu lassen.
    So weit, so gut. Das Belegmaterial für irgendeine Form von vielgeistigem Modell war erdrückend. Aber dann kam die Schwierigkeit.
    Wenn ich aus vielen bestehe, warum beharre ich dann darauf, überhaupt ein zentrales Ich wahrzunehmen? Was ist dies Bewußtsein, das selbst jetzt, während ich diese Gedanken denke, seine eigene Existenz betrachtet?
    Jen erinnerte sich daran, wie Thomas versucht hatte, sie für die Lektüre von Romanen zu interessieren. Er hatte versprochen, daß die besten Erleuchtung bringen würden. Daß ihre Charaktere ›scheinbar zum Leben erweckt‹ würden. Aber die Protagonisten waren für Jen nie realistisch. Selbst wenn sie als konfus oder introspektiv geschildert wurden, schienen ihre Gedankenprozesse zu eingleisig geradeaus gerichtet zu sein. Zu eindeutig. Nur Joyce kam jemals nahe heran, den wahren Wirbelsturm von innerem Konflikt und Überwindung darzustellen, jener weiten verschwommenen Seegebiete, die eine Insel halber Ruhe umgaben, die sich ›ich‹ nannte.
    Muß ich mich deshalb als ein einheitliches Selbst fühlen? Ein ›Auge‹, das umherschweift? Eine Illusion von Heiterkeit, so daß der Sturm die meiste Zeit ignoriert werden kann?
    Oder ist es ein Weg, um einen Anschein von Konsistenz zu rationalisieren? Um der Außenwelt ein kohärentes Antlitz zu bieten?
    Einer Sache fühlte Jen sich sicher. Das Universum im Innern eines menschlichen Geistes war nur vage physikalischen draußen ähnlich

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