Erde
Monatelang war Nelson heimgekommen nach einer endlosen Reihe von ›Initiationen‹, jedesmal mehr geschunden als zuvor, bis es ihm schließlich dämmerte, daß er einfach nicht erwünscht war… daß sein einziger Nutzen für sie war als Ventil ihrer ›organisierten Gruppenaktivität‹. Der Club stärkte seinen inneren Zusammenhalt durch Peinigung von jemand anderem.
Er schaute über die Prärie zu dem obersten männlichen Pavian, der so heiter und überlegen war, beifällig und wild gähnend. Nelson haßte den Patriarchen und beneidete ihn.
Wenn ich eine solche Haut hätte… wenn ich Reißzähne hätte…
Seine Aufmerksamkeit wurde durch das Schwanken seiner unsicheren Plattform beansprucht. Er wandte sich um und sah, daß das kleine Weibchen auf und ab hüpfte, Grimassen schnitt und an seinem Ärmel zupfte. Er rief: »Hör auf damit! Dies Ding ist nicht dafür gebaut, daß es solche…« Dann sah er weiter und erkannte, was sie so aufgeregt machte.
Seine Gegner mußten eine der Zugangsleitern gefunden haben. Oder vielleicht hatten sie einander hochgeschubst und eine Pyramide aus vielen Affen gebildet. Wie sie es auch geschafft haben mochten, drei der größten bahnten sich jetzt ihren Weg längs des Kabelträgers auf ihn zu.
»Oh, zum Teufel!« stöhnte er. Die junge Mutter drängte sich hinter ihn. Die dunklen Augen ihres Kindes waren dunkel vor Angst.
Nelson blickte zum Boden hinab und sah mit Überraschung, daß der Weg unten jetzt frei war! Vor seinen Augen bahnten das Alphamännchen und seine Gefolgsleute einen Pfad, indem sie andere Paviane wegschubsten. Dann schaute der Patriarch zu ihm hoch und neigte den Kopf.
Mit unheimlicher Einsicht begriff Nelson plötzlich. Er brauchte nur zu springen, und er könnte den ganzen Weg bis zur Luftschleuse unbehelligt laufen, ehe die verrückten Weibchen ihn einholten!
Vielleicht. Aber er würde es nie unangefochten schaffen. Er wechselte einen Blick mit dem Bullen. Das schien ein Teil der Abmachung zu sein. Er sollte nicht in die natürliche Entwicklung ihrer sozialen Ordnung eingreifen. Nelson verstand und nickte. Er wartete, bis das kleine Weibchen bei ihm voll damit beschäftigt war, auf die drohenden Gebärden ihrer Verfolgerinnen zu antworten. In diesem Augenblick rutschte Nelson über die Kante.
Er machte eine schlechte Landung und kam auf die Füße mit einem scharfen Stich im Fußknöchel. Aber er hüpfte eilends einige Meter weit, ehe er pausierte, um sich umzuschauen.
Niemand folgte ihm. Tatsächlich blickte der Trupp zumeist in die andere Richtung und verfolgte das Drama auf dem Sims in der Höhe. Der Bulle schien ihn völlig freigegeben zu haben, jetzt, da er die Szene verließ.
Aber die kleine Mutter konnte, belastet mit ihrem Kind, ihm nicht folgen. Sie starrte statt dessen hinter ihm her und blinzelte in stummer Enttäuschung, die er nur zu gut verstehen konnte. Danach hatte sie keine Zeit mehr außer für ihre unmittelbaren Sorgen. Mit dem Kind auf dem Rücken wandte sie sich um und fletschte die Zähne gegen die Angreiferinnen.
Nelson wich noch zwei Schritte zurück hin zur Sicherheit des Ausgangs. Er konnte seine Augen aber nicht abwenden. Er war gefesselt durch das Verhalten der kleinen Pavianin, die ihren Feinden mit Grimassen endgültig Trotz bot und sie mit tapferen Sprüngen zurückhielt. Das war eine Anstrengung, die sie nicht lange durchhalten konnte.
Aus Erfahrung wußte er, daß die anderen Weibchen nicht ihren Tod suchten, sondern nur den des Babys. Das war eine Grausamkeit, die er bis dahin nicht in Frage gestellt hatte. Aber jetzt fragte sich Nelson zum allerersten Male doch, warum.
Es war so grausam. So schrecklich. Es erinnerte ihn an menschliche Bosheit. Und dennoch hatte er in der ganzen Zeit, die er hier war, die Experten nie nach dieser oder irgendeiner anderen Sache gefragt. Es war so gewesen, als ob… als ob das heißen würde, allzu offen die Ignoranz einzugestehen, die er so lange gehegt hatte. Seine gebrechliche, starre Fassade von Zynismus konnte keine Neugier ertragen. Wenn er einmal angefangen hätte zu fragen – wo würde das aufhören?
Nelson fühlte, wie sich in seinem Kopf ein Druck bildete. Er konnte nicht zurückgehalten werden.
»Warum?« fragte er laut und fühlte, wie seine Stimme bei dem Ton steckenblieb.
Die Mutter schützte ihr Kind und zog sich unbeholfen zurück, wobei sie ihre Feindinnen anschrie.
»Warum ist es gerade so?« fragte er. Es war niemand anwesend außer ihm selbst.
Kaum
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