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Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Titel: Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
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wir sie erneut mit Maschinengewehrriffs und beginnen, die Fingernägel in hartes Holz zu treiben, die Rinde aus den Kiefern zu reißen und zu flennen, bis das Schreien wieder Singen ist und tatsächlich die Worte ertönen: »When no one understands/the darkness that I wander in.« Dann reißen wir uns die Kopfhörer von den Ohren und schleudern den Discman in den Wald, weil wir uns schämen vor lauter Selbstmitleid und Pathos und weil der Professor recht hat, wenn er den knochigen Finger hebt und sagt, dass eine dramaturgisch perfekte Band uns nicht auch noch den Luxus eines Soundtracks für die Trauer bieten darf. Mit echtem Schmerz und echter Buße hat das alles nichts zu tun, das wissen wir, schlagen erneut auf den Baum ein und kratzen uns die Nägel blutig, bis kräftige Khaled-Arme uns packen und umdrehen, dunkle Augen in einem Meer aus Weiß die ganze Welt einnehmen und die tiefe Stimme »ruhig, ruhig« sagt, bis wir tatsächlich ruhiger werden.
    Khaled geht in die Hocke, weil ich am Baum hinab zu Boden sinke, die Augen nass verschmiert. Er wartet, bis ich wieder regelmäßig atme, und fragt: »Warum du willst zur Einsamkeit?«
    Er ist mir nachgegangen, in den Wald, und hat mich toben gehört.
    »Was ist los?«, hakt er nach.
    Ich kann ihm nicht antworten. Ich will ihm nicht antworten. Der Pfropf sitzt wieder in meiner Brust. Gut so. Ich stehe auf und sammele den Discman ein, der aufgesprungen im Unterholz liegt. Die CD ist noch drin. Der einsame Wolf will nicht weichen.
    »Hartmut«, sagt Khaled und es klingt wie »Harthmuuuth«.
    Ich winke ab, nehme den Rucksack, schnaufe und gehe an ihm vorbei ins Hotel zurück.

    Das Kungis Inn hat DSL, und Kasimir leiht mir einen alten Laptop, damit ich auf dem Zimmer meine Post bearbeiten kann. Khaled brummt, als der Hotelchef mir das Gerät gibt, er selbst telefoniert ausschließlich und scheint dem Getippe zu misstrauen. Dafür beherrscht er unerschöpflich viele Sprachen. Lediglich Telefonate auf Deutsch hält er sehr knapp. Er beendet sie meist schnell, sobald er merkt, dass ich zuhöre. Fast so, als wären ihm seine begrenzten Kenntnisse peinlich. Dabei habe ich ihm nicht mal auf die Nase gebunden, dass ich Germanist bin.
    Ich höre ihn, draußen auf der Terrasse mit Kasimir und zwei lauten, bärtigen Einheimischen. Die Männer stoßen mit dem Portwein an, während Khaled einen Zuckerlöffel in seiner Teetasse klimpern lässt. Touristen sind außer uns keine zu sehen. Zu früh im Jahr. Wollte ich wieder das Haus verlassen, um noch mehr Fingernägel in der Borke zu lassen oder mich ins Meer zu stürzen, müsste ich an den Männern vorbei. Es dämmert bereits, aber ich habe die Vorhänge meines Zimmers zusätzlich zugezogen, um die Dunkelheit zu beschleunigen. Die Post lenkt mich ab. Yannick ist im Weseler Hochhaus untergekommen, wird mir aus Los Angeles gebeichtet, flankiert von der neuesten Geschichte aus dem Berufsalltag unter Palmen:
    Lieber Hartmut!
    Zwei Dinge darf man in Los Angeles niemals tun, wenn man mit dem Wagen unterwegs ist.
    Erstens: Aus dem Fenster heraus nach dem Weg fragen.
    Zweitens: Aussteigen, den Wagen verlassen und nach dem Weg fragen.
    Und jetzt rate mal, was ich heute gemacht habe …
    Also, es war folgendermaßen. Paket nach Venice. Bei Venice denkt jeder nur an Venice Beach, wo junge Frauen inlineskaten, Bodybuilder ihre Übungen machen und die Figuren aus Private Practice mit Kaffeebechern am Geländer stehen. Aber hinten raus ist Venice ein Moloch! Alles quadratisch. Die Straßen haben durchaus Namen, es ist nicht so, dass es immer nur die 3rd Street, 4th Street usw. gibt. Aber die Namen verwirren nur. Es verlaufen zum Beispiel immer eine Avenue und ein Court parallel zueinander. Vernon Ave neben Vernon Ct (man kürzt alles ab), Indiana Ave parallel zu Indiana Ct. Du wirst bekloppt. Ich war jedenfalls in der Indiana Ave unterwegs und musste natürlich in den Indiana Ct. Das Navi behauptete die ganze Zeit, ich sei da, klar, ich hatte ja auch Ave eingegeben. Also mache ich, was man in Deutschland macht. Ich suche nach Passanten auf dem Bürgersteig, werde langsamer und lasse das Fenster herunter. Vier junge Männer, einer weiß, drei schwarz, bemerken mich, stupsen sich gegenseitig an, drehen sich um, stieben auseinander. Der Weiße zieht eine Kanone, am hellichten Tag, der Schwarze schimpft wie ein gerupfter Beo, den man nach zehn Jahren aus dem Käfig lässt. Mein Herz rutscht mir in die Hose, ich denke, ich gucke nicht richtig.

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