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Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Titel: Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
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Jähzornig fuchtelt der tätowierte Typ mit seiner Waffe herum, bis ihn der Beo beruhigt. »Parcel Service!«, ruft er, »Parcel Service!«, und der Weiße steckt seine Waffe weg. Ich tippe zitternd auf mein Navi, damit sie kapieren, dass ich nur nach dem Weg fragen wollte. Niemand fragt in Los Angeles nach dem Weg. Wenn hier ein Auto ganz langsam neben dem Bürgersteig herfährt, denkt man als Erstes an ein Drive-by-Shooting. Da sitzt das Schießeisen locker.
    Ich fahre weiter und kapiere immer noch nicht, dass ich in die Parallelstraße muss. Die Straße endet an der Querstraße, Hampton Drive. Du weißt, wie eng bei UPS die Zeittoleranz bemessen ist. Ich muss jemanden fragen, also halte ich an. Und steige aus. Du erinnerst dich an Punkt 2, den man in Los Angeles vermeiden soll? Gegenüber ist das Tor zu einem Hof geöffnet. Die Wand rechts daneben ist mit Wellblech verkleidet, darüber hängt ein breites Banner mit dem Titel Beach Boys Racing . Ein alter, blauer Chevrolet steht davor, mit breiten Reifen und goldenen Felgen. Ein Autotuning-Laden. Dort frage ich, denke ich mir, und gehe auf das Tor zu, als zwei der Besitzer einen Kunden im Feinrippunterhemd auf die Straße schubsen. Ich drehe ab und laufe davon. Gehe einfach weiter, setze einen Fuß vor den anderen. Es ist wie ein Verlegenheitslecken bei Yannick, gemischt mit Angst. Ich vergesse meinen Job, ich will nur weg. Nach fünfhundert Metern stehe ich schon am Strand. Und dann denke ich mir, jetzt kommt es auch nicht mehr darauf an, laufe in den Sand, ziehe die Schuhe aus und stelle mich ans Meer.
    Ich schmunzele. Die Mail geht noch weiter. Das Meer macht ihn klarsichtig, und als er wieder in den Wagen steigt, fällt ihm der Unterschied zwischen Court und Avenue ins Auge. Er freut sich außerdem, dass ich nicht sauer bin, dass er nicht sofort verraten hat, wo Yannick steckt. Ich bin ihm nie böse. Er kann gar nicht lügen, man sieht es ja wieder hier. Die Geschichte mit den Jungs am Straßenrand, die sofort eine Waffe ziehen, ist so schräg, dass sie passiert sein muss . Ich spüre das an der Art, wie er die Szenerie beschreibt. Angst, Verwirrung, Verlegenheitshandlungen. Wären wir noch zusammen und etwas Vergleichbares wäre ihm in Bochum oder Berlin geschehen, er hätte es nicht mal erzählt. Aus Scham. Er trägt einen seltsamen, altmodischen Männerstolz in sich. Er erzählt nicht von Schiss in der Hose und Weglaufen aus Verlegenheit. Es rührt mich, dass er so viel schreibt und noch dazu zugibt, vor lauter Konfusion erst mal ans Meer gelaufen zu sein. Ich schmecke kaltes Bier im Mund und spüre den blechernen Körper einer Dose in der Hand, mit der wir, den Blick aufs Meer, gemeinsam anstoßen.
    »Menschen leben für Menschen«, hat Khaled gesagt. Der Vorhang, mit dem ich das letzte Licht des litauischen Tages ausgesperrt habe, bewegt sich im lautlosen Kiefernwind. Unten stoßen immer mehr Männer aus Palanga zu der geselligen Runde dazu.
    »Menschen leben für Menschen.«
    Ich muss Susanne ihre Zeit lassen, es geht nicht anders, aber meinen besten Freund so einsam stehen zu sehen, drüben am Strand von Los Angeles, das bricht mir das Herz. Ich stelle mich ans Fenster, ziehe das Handy aus meiner Hose und spiele mit meinem Adressbuch. Meine Finger wählen Caterinas Nummer aus, und ich lasse sie einfach machen. Hallo Caterina , geben sie in die Tastatur ein, wie geht es Dir so? und noch einen freundlich flötenden Satz. Dann setzen sie tatsächlich ein Smiley dahinter, eine Geste der Verlegenheit nach all den Monaten des Schweigens. Liebe Grüße senden sie, meine Finger, während sich unten vor dem Hotel Autos und knötternde Mofas nähern. »Khaled!!! Khaled!«, rufen ihre Fahrer, frische Gläser klingen, und meine Finger senden die SMS an Caterina ab, als wäre die Welt so handhabbar, wie Khaled sich das vorstellt. »Reden du lernst durch reden«, hat er gesagt. »Ahhhhhhh!«, rufen die Männer, und Hände klopfen auf muskulöse Schultern.
    Ich will an den Strand.
    Sofort.
    Es ist sogar mehr als ein Wollen. Es fühlt sich an, als sei ich im Prinzip schon da und nur mein Körper warte immer noch in diesem finsteren Loch. Und je länger er hierbleibt, obwohl ich längst am Meer bin, desto mehr zieht und zerrt und zerreißt es mich. Als gäbe es für diesen Nachtspaziergang keine alternative Zeitlinie. Ich schalte den Computer aus und gehe an der Männerrunde vorbei zu dem Pfad, der zwischen Düne und Wald zum Strand führt. Khaled hält mich nicht auf,

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