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Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Titel: Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
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Wind, so dass sich das Rauschen der Bäume mit dem Rauschen des Wassers mischt. Ich ziehe meinen Rucksack aus dem Landrover. Morgens James Bond in Warschau, abends Kururlaub in Palanga – es ist, als könne dieser Wagen alle Orte der Welt erreichen. Das kann zwar theoretisch jedes Auto, aber praktisch fühlt man es nur bei Khaled. Man setzt seine Füße in seinen Landrover und stellt sie zehn Stunden später in einem völlig anderen Teil der Welt wieder auf den Boden. Als sei der Globus nur eine Kulisse, die man tatsächlich komplett er-fahren kann. Und als hätte niemand mehr Erfahrung im Er-fahren als der Mann mit der Ray-Ban, der mich nun ins Hotel winkt, während er immer noch mit Kasimir plaudert. Mag sein, dass sein Litauisch genauso gebrochen klingt wie sein Deutsch, aber er kann sich überall verständigen.

    Mein Zimmer hat eine rote Couch und einen massiven Holztisch mit nach innen geschwungenen Beinen, der wirkt, als hätte Breschnew damals seine Schnapsgläser darauf abgestellt. Bevor ich den Rucksack von meinem Kreuz nehme, öffne ich das Fenster und habe Blick aufs Meer. Kiefern, Dünen, Vögel. Für einen kurzen Moment spült dieser Anblick die Beklemmung aus meiner Brust, die dort seit Monaten wie ein Pfropf festsitzt, und ich atme frei, als hätte ich die Erlaubnis, Ferien von mir selbst zu machen. Ich erschrecke mich, ramme das Fenster zu und lasse meinen Blick durch das Zimmer huschen, als sei der Brustpropf wie ein Tennisball auf den Boden gefallen und unter den Nachttisch gerollt. Ich darf keinen Urlaub von mir selbst machen. Ich bin auf dem Weg in die Einsamkeit! Ja, sicher, ich habe zufällig einen Helfer gefunden, der mich fasziniert, aber ein Fenster aufzureißen und aufs Meer zu schauen, als sei ich in einem Sanatorium, das geht einfach nicht! Ich hätte mit Susanne hierherreisen müssen und mit Lisa. Unsere Tochter hätte an diesem Fenster stehen und auf das Wasser zeigen sollen. Kleine Hände, verkrallt in mein T-Shirt und eine piepsige Stimme, die quengelt: »Zum Strand! Papi, zum Strand!«

    Ich laufe aus dem Zimmer und verlasse das Hotel. Direkt dahinter liegt der Kiefernwald. Ich erinnere mich daran, was mein bester Freund und ich taten, als wir in der Provinz Hohenlohe glaubten, unsere Frauen verloren zu haben. Wir hatten Grund zu der Annahme, sie hätten uns endgültig verlassen, also gingen wir in die Tannen. Wortlos wollten wir mit dem Unterholz verschmelzen. Jetzt bin ich hier, Tausende von Kilometern von Susanne entfernt und eine ganze Wirklichkeit weit weg von meiner Tochter, die es in diesem Leben nicht mehr gibt, obwohl sie hier sein sollte. Ich laufe in die Kiefern, der Sand unter meinen Sohlen wechselt mit morschen Ästen und Nadelboden. Ich renne tiefer und tiefer hinein, aber egal, wie weit ich gehe, es wird einfach nicht dunkel. Wo ich auch stehe, folgen mir das Licht und das Rauschen der Ostsee. Ich hocke mich hinter den dicksten Stamm, den ich finden kann, ramme meinen Rucksack auf den Boden und reiße den alten Discman heraus. Vielleicht können The Sorrow etwas Finsternis in dieses verfluchte Geäst bringen. Es kann schließlich kein Zufall sein, dass dieselbe beschissene Lebenslinie, die mir die Tochter genommen hat, mir als Begleitung für meinen Bußweg ausgerechnet diese CD vor die Füße gerotzt hat. Egal, was der Professor in meinem Kopf sagt! Ich schaue auf die Hülle, als ich die Tasten drücke. Stück zwei handelt vom Tod und heißt »Crossing Jordan«. Das Schlagzeug spielt einen stufenweise gesteigerten Wirbel, und die Leadgitarre sirrt eine kalte Melodie. Mit der Bassdrum setzt die Rhythmusgitarre ein und schießt maschinelle Riffs in den Wald. »Torn apart«, schreit der Sänger am äußersten Limit der Stimmbänder, wo die Schläfen platzen. Wie unnatürlich das eigentlich ist. Kein südliches Land der Welt bringt von sich aus so ein Gekeife hervor. Der iPod von Khaled beweist es. Es mag sein, dass junge Iraner, Thailänder oder Peruaner amerikanischen Verzweiflungs-Metal importieren, aber die ursprüngliche Art, Trauer auszudrücken, klingt bei ihnen völlig anders. Bei uns nicht. Wir schreien wie am Spieß »left me alone/you passed away without the word and all alone«, und irgendwann können wir nicht mehr und müssen singen. Dann kommt der scheiß Refrain, nur zwei Zeilen, als Melodie: »Forever in my mind/My memories are all I’ve got.« Mehr halten wir nicht aus, denn dann kommen die Tränen, und weil auch die unerträglich sind, überdecken

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