Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
welchen ich soeben samt seines Kollegen umrammen wollte, erlaubt ihr freies Einkaufen in allen Souvenirshops des Obergeschosses, sobald wir die Gepäckkontrolle passiert haben. Khaled lässt meinen Hosenbund los, und ich falle fast vornüber.
Gesegnet mit einer Gewinnerin, durchqueren wir die Gepäckkontrolle ohne Probleme. Nur meinen alten Discman muss ich aus dem Rucksack holen. Die Hülle von The Sorrow fällt heraus, und der Gepäckprüfer schüttelt den Kopf, weil wir Deutschen uns lieber mit zähnefletschender Wolfsmusik quälen, als unsere Hüften zu quirligen Rhythmen zu schwingen. Die Sicherheitsleute begleiten Juliette, Caterina und Khaled zu den Souvenirläden, um sicherzugehen, dass sie ihren Gutschein auch ausnutzt. Die Verkäufer sind informiert und wedeln freudig mit Tüchern, falschem Schmuck und kleinen Kamelen aus gefülltem Leder. Es ist ein unglaublicher Schruz, aber sie muss ihn nehmen, alles andere wäre unhöflich. Die Andenkenhändler schlagen große Leinsäcke auf und füllen alles hinein, was sie ohnehin nicht mehr verkauft kriegen. Rahime-Juliette hat eine lange Flucht vor ihrem Mann hinter sich gebracht, doch anstatt sich in einen Schalensitz fallen lassen zu dürfen, tanzen nun aufgekratzte Krämer um sie herum und überschütten sie mit Gewinnen. Es ist so, als hätte sie auf der Zufahrtsstraße einer Kirmes den Trostpreis-Lieferantenlaster gerammt. Sie hat keine Kraft, sich zu wehren.
Während Khaled und Caterina der armen Rahime-Juliette helfen, ihre Lederkamele und Muschelketten zu verstauen, setze ich mich von der Gruppe ab und schleiche zum menschenleeren Café am Ende des Gates. Warmes, oranges Licht. Muffinsorten mit Kreide notiert, in Schönschrift auf Dekotafeln. Ein Eisschrank von Häagen-Dasz. Hinter der Theke sogar deutsche Biersorten. Löwenbräu, Clausthaler und Holsten alkoholfrei. Das Mobiliar ist aus dunklem Holz. Im Fernseher flimmern Aktienkurse. An einem Ecktisch gibt es öffentliches Internet. Ich bestelle mir einen Kaffee, setze mich an einen Fensterplatz und beobachte ein Flugzeug, das sich geduldig in Parkposition rangiert.
Es ist vorbei. Die Geistertage auf der alten Tribüne. Die kalte Matratze in Görlitz. Die Pension in Polen. Das Meer von Litauen, die Wälder von Lettland, das Treiben in St. Petersburg. Alles schon weit weg. Der kurze Aufenthalt hier in Tunesien kommt mir hingegen vor, als wären es Wochen gewesen. Was ich im Lager Choucha gesehen habe, füllt meinen Geist für Monate. Die zwei Kinder in den roten Jogginganzügen spielen vor meinem inneren Auge die Dose hin und her. Meine Augen folgen wohl schon seit längerem dem Rangieren der Maschinen auf dem Rollfeld, als am Internet-Terminal des Cafés eine kleine Hand auf das Holz neben der Tastatur haut. Oberschenkel schieben knarrend den Stuhl nach hinten, und Lippen formen einen zischenden Laut zwischen Spott und Enttäuschung. Caterina macht die drei Schritte vom Computer zur Theke und bestellt sich einen Tee mit gleich drei Muffins. Mist, richtig. Er wollte, dass ich mit ihr rede, damit sie seine letzte Post aus Los Angeles nicht liest, wenn sie schon längst weiß, dass er niemals da war. Ich habe nicht gesehen, dass sie sich an den Rechner gesetzt hat. Sie bezahlt die Muffins und verspeist den ersten in weniger als zwei Sekunden. Beim Kauen bildet sich ein Zornfältchen zwischen ihren Augen. Es ist süß. Die Souvenirkrämer am anderen Ende der Halle schenken Rahime drei gigantische Koffer, um ihre Restposten zu verstauen.
> Ich
< Ich
Das Frauenzimmer
26. 03. 2011
51° 26′ 52.87″ N, 7° 15′ 19.08″ E
BRÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖK!!!!
Der gelbe Hochdruckreiniger lässt das Wohnheim erzittern. Haiko Bobelin hat gesagt, es sei das stärkste Gerät für den privaten Gebrauch. Zusätzlich zur normalen Düse hat er mir einen flexiblen Aufsatz verkauft, den man wie den Hals einer WC-Ente unter den Rand des Klos biegen kann. Yannick ist das Theater zu laut. Er kauert unterm Bett und hat sich einen Vorrat kleiner Salamis mitgenommen. Hartmut hat mir geantwortet. Seine Post prangt auf meinem Monitor.
Mein Lieber, ganz schnell. Wir sind quitt. Mit dem Lügen. Ich war auch niemals in Frankreich. Phantastisch, dass Du uns helfen kannst. Der Flug geht heute. Ich denke, es wird später Abend, bis wir da sind. Mit Caterina, das wird schon wieder. Jetzt müssen wir erst mal die junge Frau retten. Und kein Wort zu Fremden, hörst du?
In Eile, Dein H.
Caterina
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