Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Drucker an und spuckt im Rhythmus der Musik Seiten aus. Rezepte zu tunesischen Gerichten. In welchem Pop-up-Fenster hat Nestor die denn noch geöffnet?
»Ich mache die Musik fertig«, sagt Nestor, »geh du in der Zeit einkaufen! Fladenbrot, Couscous, Harissa, Kichererbsen, Oliven. Was du im Toom und Reformhaus nicht findest, musst du im Afrikaladen holen. Vielleicht bringst du da auch Dekoration mit. Tücher und Teppiche.«
Der Afrikaladen liegt in Bahnhofsnähe gegenüber dem Hotel Ibis, genau mittig zwischen dem Punkladen und dem Antiquariat.
»Wo soll sie schlafen, wenn sie satt ist?«, frage ich. Nestor dreht sich um. Die Fenster auf dem Monitor spiegeln sich in seiner Brille. »Die tunesische Frau? Wo soll sie schlafen? In meiner Badewanne? Im Kleiderschrank?«
Nestor blickt mich erstaunt an. Wieso habe ich mich das nicht eher gefragt? Wo ist meine praktische Vernunft geblieben?
»Wenn jemand versteckt werden muss, heißt das nicht, dass er in eine Schublade passt«, füge ich hinzu.
»Wir brauchen ein leeres Zimmer«, sagt Nestor.
»Und zwar sofort«, bekräftige ich. Wir überlegen zwei Sekunden. Dann hebt sich unser beider Blick in Richtung Decke.
Fünf Minuten später stehen wir mit Haiko Bobelin vor der Tür von Appartement 715. Auf dem Namensschild steht in schludriger Schrift: Igor Kranjic .
»Gute Tarnung, oder?«, lächelt Haiko und schließt die Tür auf. Haiko kann alles besorgen. Man muss nur fragen. »Das …«, hebt er mit der Hand auf dem Knauf feierlich an und wartet noch einen Moment, »… ist das Frauenzimmer!« Er stößt die Tür auf. Vorhänge. Pastelltöne. Designermöbel. Ein Duft von Lavendel.
»Wow«, sagt Nestor, der bereits in der Badbox steht. »Guck dir das an! Der Krümmer hier ist strahlend weiß!«
Haiko erklärt: »Es ist das einzige Zimmer im ganzen Turm, bei dem jemals die komplette Badeinheit ausgetauscht wurde.«
Ich hebe die Hand.
Haiko sagt: »Glaub mir, du willst nicht wissen, warum. Ich habe jedenfalls sofort zugeschlagen und es als Frauenzimmer angemietet, weil ich weiß, wie viele Frauen flüchten, wenn sie das erste Mal in dieses Haus kommen. Ein Männerzimmer habe ich übrigens auch, im zweiten Untergeschoss. Da ist es umgekehrt. Da haben wir den Krümmer noch absichtlich nachgeschwärzt.«
»Wir nehmen es«, sage ich. »Für … ich weiß nicht, wie lange.«
»Zahlt mir wöchentlich, dann passt das«, sagt Haiko.
Nestor lässt den Stoff des seidenen Vorhangs durch seine Finger fließen. »Wir empfangen die Frauen direkt hier«, sagt er.
Haiko lächelt. Er denkt, wir hätten ein Doppelrendezvous.
»Und was, wenn Caterina mein eigenes Zimmer sehen will und doch dort in den Krümmer guckt? Sie fasst mich nie mehr an.«
Haiko hebt den Zeigefinger. »Dafür habe ich eine provisorische Lösung!«
Am Abend ist das Frauenzimmer vorbereitet. Der Lavendelduft, dessen Quelle ich bis jetzt nicht ausmachen kann, wird übertüncht von den Gerüchen des tunesischen Büfetts, das wir auf dem Schreibtisch, der Anrichte neben der Spüle und in den griffhohen Regalen aufgebaut haben. Ich frage mich, ob der gebratene Fisch mit ganzen Köpfen wirklich sein musste, aber ich möchte Nestor nicht kritisieren. Er hat gekocht wie ein Besessener und dabei die Lieder der tunesischen Popstars gesungen. Eine Dame hat es ihm besonders angetan. Sie heißt Elissa. Ihre Melodien klingen einerseits so exotisch wie ein Sandwirbel zwischen den Türmen der Moschee und andererseits so eingängig wie ein sich wiederholendes Ohrwurm-Sample in einem Hit von 50 Cent. Die Wände sind mit Tüchern dekoriert, die Haiko ebenfalls noch vorrätig hatte, genauso wie die orientalisch gemusterten Schüsseln und Schalen, in denen sich neben den Fischen auch Lammfleisch mit Reis, scharfgewürzte Hammelwürstchen, Fladenbrot, Kichererbensalat, Couscous und Berge von Oliven finden. Den Laptop mit den insgesamt 218 Titeln, die Nestor gefunden hat, haben wir hier heruntergetragen. In meinem Zimmer drei Stockwerke über uns ist der Kot im Krümmer mit weißer Unterwasserfarbe übergemalt. Das reicht für den ersten Blick. Haiko war begeistert, dass Nestor das Produkt kannte. Sie haben danach noch zehn Minuten über Futter für Koi-Karpfen gefachsimpelt.
Ich schaue auf die Uhr. Genau wie vor drei Sekunden.
Sind auf der A45 Höhe Lüdenscheid und in rund einer Stunde da , hat mir Hartmut vor einer Stunde gesimst. Gleich kommen sie. Caterina. Hartmut. Meine Familie. Dann ist alles wie früher. Dann
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