Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
fühlen, wenn man bei Rock am Ring im gutgefüllten Dixie sitzt und die Vandalen es umkippen.
»I-c-h g-l-a-u-b-e d-a-s n-i-c-h-t«, sage ich, und ein brauner Tropfen dringt in meinen Mund, als ich die Lippen öffne.
Nestor sagt: »Öhm …«
Yannicks Gespür für interessante Neuigkeiten besiegt seine Angst. Er kommt unterm Bett hervor, schaut um die Ecke, kapiert, was passiert ist, und lacht sich kaputt. Schauerlich schüttelt sich sein kleiner Katzenkörper.
Ich schalte die Dusche ein, um die Wände abzuspritzen, doch zunächst halte ich mein Gesicht in den heißen Strahl. Eine Gnade im Stress der letzten Stunden, in denen ich mir ständig Caterinas Blick vorstelle, wenn sie dieses »Bad« betritt. Wie immer, wenn warmes Wasser meine Haut berührt, werden meine Gedanken leiser, und meine Instinkte übernehmen das Kommando. Ich ziehe das Ganzkörperkondom aus und entkleide mich bis auf die Boxershorts.
»Es ist noch Bier im Kühlschrank«, sage ich und bedeute Nestor, dass er es zu uns in die tropische Dusche holen soll. Er klimpert die Flaschen aus der Tür, stellt sie aufs Waschbecken und beginnt ebenfalls, seine versauten Klamotten auszuziehen. Erstaunlich, wie schnell er meine Absichten begreift und mitmacht. Zwei Minuten später sitzen wir nur in unseren Shorts unter der heißen Dusche, jeder ein Bier in der Hand. Ich ziehe den Vorhang zu und sperre die Welt aus. Die dicken Tropfen prasseln auf das Plastik und das Braunglas. Pock, pock. Klink, klink.
»Das ist schön«, sagt Nestor.
»Ja«, sage ich und denke daran, dass ich genau dieses Ritual sonst nur mit Hartmut praktiziere. Zu zweit unter der Dusche sitzen, im warmen Regen, Bier trinken und reden. Allerdings sind wir dabei völlig nackt.
»Ich glaube, jetzt bist du dran, oder?«, sagt Nestor, und ich drehe den Kopf. Die Tropfen glitzern an seiner Hakennase.
»Womit?«, frage ich.
»Damit, intime Dinge zu verraten. Ich weiß nichts über dich, ist dir das überhaupt schon mal aufgefallen?«
Er hat recht. Es ging immer nur um ihn, als hätte ich überhaupt keine Probleme. Nestor fächert seine Finger auf und zählt ab: »Du weißt von mir, dass ich mir gerne Sprünge vom Dach vorstelle und fiese Blutgrätschen, die plötzlich von hinten kommen. Du weißt, dass ich eine Schreibneurose habe und immer, wenn ich Nudeln koche, meine Nudel poliere. Da gibt es ein gewisses Ungleichgewicht, meinst du nicht?«
Ich meine schon. Mir fallen heiße Tropfen auf Kopf, Hals und Schultern, und gleichzeitig fließt kühles Bier in meinen Hals. Ich will nichts lieber, als diesem hageren Verrückten hier und jetzt mein Herz ausschütten. Aber: Kein Wort zu Fremden hat Hartmut geschrieben. Mein Freund, der nicht unter dieser Dusche hockt und der meine Sorge um Caterinas Gnade mit der läppischen Zeile Das wird schon wieder abtut.
»Nestor?«, frage ich und nehme noch einen Schluck Bier, das mein Hirn im Schädel schwimmen lässt wie eine Badeinsel im Baggersee.
»Ja?«
»Bin ich ein Fremder für dich?«
»Nein. Und das, obwohl du mir so wenig erzählst. Wir haben eine Wanne aus Gusseisen gemeinsam hier heraufgeschleppt.«
Ich lache, gerührt, ein Schluchzlachen, öffne den Mund und schließe ihn erst wieder, als die Dusche mein gesamtes Leben bis hin zur baldigen Ankunft meiner wichtigsten Menschen samt Flüchtlingsfrau restlos aus mir herausgeprasselt hat.
Meine Geständnisse machen Arbeit. Und Lärm. Nicht aus dem Kärcher, sondern aus dem Computer. Arabische Sänger jaulen und klagen wie zuletzt in diesem Wohnheim, als hier noch der Terrorist des elften September in den schwarzen Krümmer gekackt hat. Nestor sitzt vor dem Bildschirm und öffnet in einer Sekunde hundert Fenster zu Musikern aus dem Maghreb. Downloadfenster ploppen auf wie Seifenblasen, Ladebalken treten gegeneinander im Wettrennen an, Prozentzahlen rattern in ihren Rahmen. Mein iTunes füllt sich mit der Musik des Morgenlandes. Nestor will dem Flüchtlingsmädchen einen schönen Empfang bereiten. Er ist ganz außer sich, seit er die Geschichte gehört hat.
»Stell dir das vor«, sagt er im Getöse der orientalischen Klangspiralen, »eine Frau, gewöhnt an weite Horizonte mit Olivenbäumen und hellblauem Himmel. Eine Wüstenblume, geflüchtet und entwurzelt!«
»Nestor …«
»Sie muss wenigstens ein bisschen Heimat vorfinden. Sie kommt schließlich nicht in eine schöne Fachwerkstadt am Rande der Grimm’schen Berge, sondern in dieses Haus hier!«
Wie von Geisterhand springt mein
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