Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Titel: Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
Vom Netzwerk:
hinten. Ich trinke. In der Mittelkonsole klemmt ein iPod auf einer Dockingstation zwischen Taschentuchpackungen, einer Lederhülle für die Sonnenbrille, seinem Handy und einer Tüte Nüsse. Er zieht den iPod mit der rechten Hand raus und hält ihn mir hin. Das kleine Display leuchtet auf und zeigt Songlisten. »Musik?«
    Ich lege die Flasche weg, beuge mich vor und nehme das Gerät in die Hand. Meine Füße lasse ich immer noch auf der Rückbank. Ich blättere durch die Liste. Sie verwirrt mich. Da, wo üblicherweise das Musikgenre stehen müsste – also Rock, Pop oder Jazz –, hat Khaled Ländernamen eingegeben. Die Liste beginnt mit Ägypten. Sie ist lang. Sehr lang. Ich sehe die Elfenbeinküste, Laos, Taiwan, sogar Tuvalu und Usbekistan. Nach allen Nationen der Welt endet die Liste auf Zypern. Khaled bemerkt, dass ich verwirrt bin, und sagt: »Viel unterwegs.«
    Ich lächele. Was für eine Idee. Und wie naheliegend, eigentlich. Unsereins erfindet hundert Kategorien nur für die Musik, die in Europa und Amerika gemacht wird, und quetscht den ganzen Rest in die Schublade World Music. Im Jugendzentrum in Görlitz schlagen sich junge Männer die Nacht mit der Frage um die Ohren, ob From The Ashes Of Unseen Realms We Scream The Pledge Of Alliance nun Emocore, Screamo, Postcore oder doch eher Mathcore spielen, während sie nicht mal wissen, wo Tuvalu überhaupt liegt. Khaled sortiert Musik nach Ländern. Ich überfliege die Namen der Musiker und kenne fast keinen. Dieser Mann hat mehr Lieder aus Peru oder Südafrika auf seinem iPod als aus den USA. Der Professor in meinem Kopf wirkt gütig und erfreut, obwohl er noch nichts von der Musik gehört hat. Ich scrolle durch die Liste und mache Stopp bei Venezuela. Ein Sänger legt los, einerseits so kraftvoll, als wolle er seine Stimme ohne Mikro wie eine Flipperkugel durch ganze Bergzüge zischen lassen, und andererseits so locker aus der Hüfte, wie es kein westlicher Durch-die-Zähne-Presser jemals hinbekommt.
    »Juan Vicente Torrealba«, sagt Khaled auswendig.
    Ich gleiche es mit der Liste ab. Es stimmt.
    »Venezuela«, fügt Khaled hinzu. »Ist … wie sagt man? Traditional Music. Von den Farmern, den Landleuten. Mit Pop.« Während Herr Torrealba singt, lasse ich die Liste weiter vor meinen Augen sausen.
    »Ist auch Polen drin«, kommentiert Khaled. »Das ganze Erdenrund!«
    Er sieht wieder auf die Straße, das Lenkrad des Landrovers in den Händen, groß wie ein Schiffsruder.

    Die Musik spielt. Bass, Trommeln, Bläser. Ich wippe mit dem Kopf. Ein Straßenschild zeigt an, dass wir zur Autobahn A2 kommen, wenn wir links abbiegen. Khaled biegt ab. Sein Telefon klingelt. Er geht ran und hält sich das kleine Ding ans Ohr. Er meldet sich nicht mit seinem Namen, sondern nur mit einem Brummlaut. Dann hört er zu, nickt, ist mit den Augen halb auf der Straße und halb bei seinem Gesprächspartner. Selber sagt er nichts. Fast nichts. Er bestätigt das Gehörte lediglich alle paar Sätze mit einem kurzen, seltsamen Wort. Es klingt wie »Bä«, mit ganz kurzem, trockenen »ä«, das fast in ein »ö« umkippt. Müsste ich es schreiben, würde ich »bae« in die Tastatur tippen. Es ist sein Universalwort für »Ich höre dir noch zu«, die kürzestmögliche Form, schneller ausgesprochen als ein »Mhm« und dabei härter, kantiger. Ein Geräusch gewordenes, huldvolles Nicken. Es drückt Zustimmung aus, so wie »gut« oder »o.k.«, denn als sein Gesprächspartner einmal etwas sagt, was ihm nicht passt, ist Schluss mit dem »bae«. Khaled legt den Kopf nach hinten, nimmt die zweite Hand vom Steuer, gestikuliert, als stünde sein Gegenüber vor ihm, und stößt ein langes, halb gesungenes Schimpfwort aus, dem ein Wortschwall in einer Sprache folgt, die ich nicht verstehe. Khaled zähmt seinen Gesprächspartner und bekommt anscheinend, was er will, denn er senkt den Kopf wieder, legt die Hand ans Lenkrad zurück und tröpfelt noch ein paar »Bae! Bae!« aus seinen Lippen, bevor er auflegt. Er steckt das Telefon in die Mittelkonsole zurück, nimmt beide Hände vom Lenkrad, kippt sich in aller Ruhe Nüsse in die Hand und steuert den Riesenjeep derweil mit den Knien.
    »Fahre nach Warschau«, sagt er. Seine Zähne knacken die Nüsse. Er sieht in den Rückspiegel. »Warschau gut? Mein Freund?« Ich antworte nicht sofort. Meine Hände kneten das Polster. Khaled neigt im Rückspiegel den Kopf nach vorn. Er sagt: »Oh, sorry. Willst du Nuss?« Ich lehne dankend ab. Er zuckt mit den

Weitere Kostenlose Bücher