Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Freundin ist höflich und spielt das Spiel mit. »Oh, ein sehenswerter Schornstein!«, sagt sie wahrscheinlich gerade, weil sie ihrem Freund nicht böse ist, dass er vor einem anderen Mann ein ganzer Kerl bleiben will. Sie erkennen mich nicht wieder. Ich habe glatte Haut an den Schläfen. Jetzt zeigt der Freund vom Schornstein weg auf meine Straßenseite, zehn Meter hinter mich, und es sieht nicht mehr so aus wie ein Schauspiel. Ich drehe mich um. Jennifer Rush nestelt sich aus einem Gebüsch, die Hosenbeine in den Händen, als sei ihre Jeans ein Rock, den man hochhalten muss, damit sein Saum nicht dreckig wird. Sie hat mich doch erkannt, gestern am Fenster! Dann hat sie der Schwarzhaarigen und den beiden anderen gegenüber so getan, als wüsste sie nichts, und ist heimlich wiedergekommen, um mich nun allein zu erwischen. Sie ruft etwas und winkt.
Ich laufe los. Was soll nur werden, denke ich? Was ist das für ein Bild, vor allem aus der Luft? Der deutsche Mann pflügt sich durch schlesische Felder, Linien im Korn hinterlassend, hinter ihm die polnische Frau mit weitausholenden Armen. Auf ewig laufen sie, und in hundert Jahren schreibt einer eine mehrbändige Erzählung darüber, die mit den Worten beginnt: »Der Mann ohne Bart floh durch die Felder, und die Frau folgte ihm.« Ich sehe mich um. Mein Rucksack zerrt. Jennifer Rush macht Meter gut. Das Geräusch eines Autos nähert sich hinter mir, ein bauchiges Brummen aus umfangreichem Hubraum. Es wird gleichzeitig lauter und tiefer. Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich bemerke, dass der große schwarze Landrover neben mir in Schrittgeschwindigkeit rollt. »Mein Freund, spring rein!«, ruft der Fahrer, den Ellbogen draußen, eine Sonnenbrille auf der Stirn. Er hat dunkle braune Augen, aber sie strahlen, als hätten sie das Türkisblau aller Ozeane gespeichert, die sie gesehen haben. Der Mann deutet auf die Hintertür. Jennifer Rush kreischt. Der Mann lässt das Rückfenster runter. Ich werfe meinen Rucksack hindurch, strecke mich nach dem Griff und öffne die Tür. Jennifer Rush gibt Sporen. Ich stürze in den Wagen. Der Fahrer gibt Gas, die Tür schlägt durch den Ruck von selber zu. Ich schaue über die Rückbank aus der Heckscheibe und sehe meine Stalkerin kleiner werden. Wirbelnde Arme und wehende Dauerwelle. Ihre Klage erhebt sich über Wünschendorf wie eine Wolke aus Leid. Ich atme tief aus, drehe mich um und lasse mich tiefer in die Polsterung sinken. Obwohl ich »lange Stelzen« habe, wie meine Mutter immer sagte, passen meine Beine vollständig auf die Rücksitze.
»Große Verehrerin?«, lacht mein Retter und dreht sich zu mir um. Er ist tief gebräunt und hat kurzes schwarzes Haar. Das glänzende Dunkel seiner Iris strahlt in einem Meer aus Weiß. Sieht er einen an, ist die ganze Welt sein Blick. Überall Retteraugen. Seine Stimme resoniert klar und tief in seinem Brustkorb. Sein Deutsch ist gut verständlich, aber den Akzent kann ich absolut nicht einordnen. Er könnte Marokkaner sein oder Ägypter. Es würde mich aber auch nicht wundern, gehörte er dem verschollenen Volk von Atlantis an.
Wir fahren. Seine Anwesenheit bewirkt, dass ich loslasse. Ich komme nicht mal auf die Idee, mich gerade hinzusetzen. Stattdessen hocke ich jetzt auf meinen Unterschenkeln wie eine zusammengerollte Katze und knete mit den Händen das Polster. Der Fahrer schaut wieder auf die Straße.
»Polnischer Mann«, sagt er, schüttelt den Kopf und hebt den Zeigefinger, »kein guter Ruf bei polnischer Frau. Deutscher Mann? Die Frau wird verrückt!« Seine Augen im Rückspiegel enthalten mehr Weiß, als ich es je gesehen habe. Der Landrover frisst die Straße und spuckt sie hinter sich wieder aus. Schnell lassen wir das Dorf hinter uns, und an den Scheiben rauschen knorrige Wälder vorüber.
»Deutscher Mann hin oder her, ich habe doch nichts gemacht«, sage ich. »Bloß in der Kneipe auf Alkohol verzichtet.«
»Bloß?«, lacht mein Retter. »Hier in Polen, Wodka ist wie Wasser. Außerdem …« – große Augen im Rückspiegel –, »du siehst gut aus.«
»Wer sind Sie?«, frage ich.
Mein Retter reicht seine Rechte an der Kopflehne vorbei nach hinten. Ich schüttele sie. Meine gesamte Hand füllt gerade mal seinen Handteller aus. Sein Händedruck ist kräftig, aber seine Haut weich und gepflegt. Die Nägel sind präzise geschnitten.
»Khaled«, sagt er. Sonst nichts. Er nimmt einen Schluck Wasser aus einer Flasche im Becherhalter unter dem Radio und reicht sie mir nach
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