Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Kontakt aufnehmen darf, bis …
»… bis was?«, fragt Khaled.
Ich weiß keine Antwort.
»Menschen leben für Menschen«, sagt er.
»Ja, und wenn Menschen sich ausdrücklich wünschen, erst mal allein sein zu wollen, muss man das respektieren«, entgegne ich.
»Reden du lernst durch reden«, sagt Khaled.
Ich schnaufe. »Was war das denn jetzt wieder?«
»Cicero.«
»Vorhin hast du auch so einen Kalenderspruch gebracht. Der mit dem Moment, der durch das Leben leuchtet.«
»Besser guter Spruch aus Kalender als schlechter aus eigenem Kopf.« Khaled schmunzelt. Für ihn ist es alles ganz einfach, auch wenn es so klingt, als müsse er sich vor jedem Satz überlegen, welche Sprache noch gleich dran ist. Im iPod schickt ein anderer Sänger seine Klagen quer über die Anden. Er heißt Victor Jara. Die Genre-Leiste zeigt Chile an. Nach drei, vier Liedern döse ich ein, und Khaled führt sein nächstes Telefonat. Ich verstehe kein Wort. Es könnte Arabisch sein, aber auf jeden Fall klingt es so, als wolle er sein Gegenüber von einem Geschäft überzeugen, das schon lange geplant war, und als sei er nun doch überrascht, dass er plötzlich neue Überzeugungsarbeit leisten muss. Das orientalische Debattieren ist laut, schläfert mich aber trotzdem weiter ein. Erst der Ruck, den der Landrover macht, als Khaled mit Wucht die Bremsbacken auf die Scheiben presst, reißt meine Augen auf. Die Reifen quietschen. Ein Hund zischt von der Straße. Khaled verliert das Handy, und der Lautsprecher geht an. Am anderen Ende plappert aufgeregt eine junge Frau. Khaled hebt das Handy auf, schaltet es leise und sagt grinsend: »Viele Frauen auf der Welt …« Ich schmunzele und schließe wieder die Augen.
Das Polonia Palace erinnert von außen an das Adlon in Berlin. Ein gepflegter Altbau in hellem Terracotta. Die Strahler an der Fassade sind so platziert, dass das Licht Säulen bildet. Im Foyer wachsen Palmen aus riesigen, runden Kübeln. Sie stehen nicht auf dem Boden, sondern in großen Ständern aus Gusseisen wie gigantische, aufgeschlagene Eier in Bechern. Alte Laternen an den Wänden, die gleichen wie draußen, so dass die Stimmung eines Innenhofs entsteht, einer mollig warmen Gasse mit Ledersofas, auf denen man Cocktails serviert bekommt. Ich möchte bloß einen Kaffee. Khaled sitzt abseits und verhandelt mit einem untersetzten Mann ohne Haare, der eine randlose Brille trägt und einen Aktenkoffer neben den Knöcheln stehen hat. Ich nippe an dem Kaffee und halte es für seltsam, hier zu sitzen, mitten in Warschau, von dem ich noch nichts gesehen habe außer diesem Hotel. Die Fahrt hat lang gedauert, fast vierhundert Kilometer waren wir unterwegs, aber trotzdem fühlt es sich so an, als wäre ich eben erst in der dörflichen Provinz Schlesiens gewesen und nun mit einem Schnipp in einen James-Bond-Film katapultiert worden. Das Stimmengewirr im Foyer verschmilzt mit dem Smooth Jazz, der aus unichtbaren Boxen auf die Palmen rieselt und von ihren Wedeln heruntertropft. Auf dem Steinboden knöttert ein Rollkoffer. Damenabsätze klackern.
»Möchten Sie noch einen Kaffee?«, fragt mich die Kellnerin in akzentfreiem Deutsch. Ich nicke.
Ich sitze unter polnischen Palmen und fahre ins ewige Eis. Aber nicht für meinen besten Freund, der wirklich unter Palmen sitzt, wenn auch unter struppigen, vom Smog verseuchten. Für ihn bin ich nicht in Polen, sondern in Frankreich, und ich sollte ihm frische Post schicken, die das bekräftigt. Die Kellnerin bringt frischen Kaffee. Ich ziehe den kleinen Stift aus meinem Telefon und tippe meine erste lange Post über das Gerät. Es dauert lange, eine Mail zu tippen, aber dafür konzentriert man sich auf jedes Wort.
Mein Lieber!
Deine Worte bringen mich nach L. A. Ich spüre die Hitze, ich rieche den Smog. Es ist, als rauschten die Palmblätter über mir. Erlaube Dir ruhig, Dir am Wochenende die Stadt anzusehen. Geh zum Santa Monica Pier, fahr nach Hollywood. Ich kenne Dich doch. Du würdest am liebsten Max Cherrys Kautionsmaklerbüro aus Jackie Brown suchen, oder? Aber fahr bitte nicht nach Watts, nur um die Stelle zu finden, wo in Menace II Society Caine erschossen wurde, okay? Das ginge dann doch zu weit.
Gut. Das musste sein, diese Erlaubnis. Er soll in zwanzig Jahren nicht sagen, dass er in der Stadt seiner Träume war und sie absichtlich nicht genossen hat. Khaled hätte bestimmt einen Kalenderspruch dafür. »Besser heute mit Schuld genießen als später schuldlos bereuen.« Oder so.
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