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Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Titel: Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
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Mein Mitbewohner kann nichts für all die Dinge, die passiert sind. Er konnte nie was dafür. Eine Frage allerdings muss ich ihm stellen.
    In Deiner ersten Mail neulich schriebst du, es ginge Yannick gut. Soweit ich aber weiß, müssen Haustiere drei Monate in Quarantäne, wenn sie in die USA einreisen. Wie hast Du das umgehen können? UPS-Verbindungen??? Ich weiß doch, Du würdest Dir eher selber mit einer abgesägten Pumpgun die Kniescheibe wegschießen, als unseren freiheitsliebenden Kater auch nur länger als zehn Minuten in einer Box eingesperrt zu lassen.
    So. Die Frage war nötig, auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass es die UPS-Verbindungen waren. Jetzt brauche ich noch ein Stück meiner Geschichte aus Frankreich. Etwas Neues und etwas Altes, ein erfundenes Detail aus der Gegenwart und eine Anspielung auf unsere gemeinsame Vergangenheit. Ich habe eine Idee für eine aktuelle Anekdote, öffne den Browser und suche mir auf dem winzigen Monitor mittels Google und Wikipedia die nötigen Fakten heraus.
    Auf dem Campingplatz war gestern eine Fußballmannschaft zu Gast. Le Poiré-sur-Vie VF, ich glaube, die spielen in der vierten Liga. Sie haben eine Party zum 50. Geburtstag ihres Trainers gefeiert, vorne in der Bar. Ich musste aushelfen als Kellner und kam mit einem Spieler ins Gespräch, der gutes Englisch sprach. Er hat mir erzählt, dass Ricky Forson früher Mitglied des Vereins gewesen ist. Jetzt fragst Du Dich: Wer zur Hölle ist Ricky Forson? Es ist ein Nationalspieler von Togo, und – jetzt pass auf – er hat noch nie in einer Profimannschaft gespielt! Das ist wie bei uns beiden, als wir uns in der Schule überlegt haben, die Staatsbürgerschaft der Färöer-Inseln anzunehmen, um dort eine Tischtennisnationalmannschaft zu gründen und nach Olympia zu fahren. Als ich um drei Uhr nachts nach der Party Müllsäcke hinter die Kneipe brachte, fiel mein Blick auf eine uralte, halbverrottete deutsche Fertignudeltüte in Dunkelblau. Bandnudeln in Champignonsoße, das war unsere Sorte! Weißt Du noch? Die Sorte aus dem real.-Kunststoff braucht lange, bis er sich auflöst. Ich frage mich, ob das noch unsere Tüte war, unser Müll von vor dreizehn Jahren.
    Alles Liebe aus Lacanau
    Dein
    Hartmut
    Ich lese den Text noch einmal und habe ein komisches Gefühl. Unser Campingplatz. Unsere Nudeltüte. Unsere Tischtennis-Idee. Schleime ich mich bei ihm ein? Habe ich ein schlechtes Gewissen? Und was wirft das für ein Licht auf mich? Selbst, wenn ich die Teufel rief, die unsere Familie auseinandergeschlagen haben, unterstelle ich ihm ja damit, dass er ohne mich gar nicht leben kann. Mein Schuldgefühl, ihn alleinzulassen, ist die Arroganz zu glauben, er sei ohne mich nicht komplett. Dabei ist es nicht er, der sich im ewigen Eis einfrieren lassen will wie ein Mammut. »Reden lernt man durch reden.« Ich sende die Mail ab.
    Khaled steht auf und drückt dem kleinen Mann mit dem Aktenkoffer die Hand. Er ist zwar zwei Köpfe winziger, aber er wirkt nicht unterlegen. »Macht macht größer«, denke ich. Wieder so ein Sinnspruch. Khaleds Gewohnheiten färben ab. Er schaut zu mir, hebt den Arm und knickt das Handgelenk Richtung Hotelbar ab.
    Einen Augenblick später lehnen wir unsere Unterarme auf das glänzend polierte Holz der Theke und stoßen an. Khaled hat Ginger Ale auf Eis bestellt. Für uns beide.
    »Du trinkst auch nicht?«, frage ich ihn und überlege, ob es auf seine Religion hindeuten könnte.
    »Du trinkst? Du verpasst ein Stück von Welt!«
    Ich will mich schon wieder aufregen. Er legt seine Hand auf meine: »Stimmt Spruch oder stimmt Spruch nicht?«
    Ich atme tief ein. Man kann es so betrachten. Ich meine, ich habe getrunken. Und wie. Vom sechzehnten Lebensjahr an war zwar Gemüse mein Fleisch, aber mein Wasser, das war das Bier. Und was hat es mir gebracht? Ich bin allein, und mein Musikarchiv beinhaltet keinen Künstler südlich von Marseille.
    Khaled stellt sein Glas wieder ab, dreht sich zu mir und angelt mich mit seinen großen Augen: »Ich bringe dich hin!«
    »Was?«
    »Ensomheden. Dikson. Ich bringe dich hin.«
    »Aber … hast du denn Zeit?«
    Was für eine bescheuerte Frage. So was fragt man, wenn es darum geht, ob jemand ein Wochenende lang beim Umzug hilft. Nicht bei einem fünftausend Kilometer langen Trip ins ewige Eis.
    Khaled deutet hinter uns ins Foyer: »Habe eben gutes Geschäft gemacht.«
    »Ach. Und da denkst du dir – fahre ich mal mit einem Fremden nach Ensomheden? Ich habe ja sonst

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