Erdschiff Giganto - Alle sechs Romane
Körbchen. Dazu kam die anhaltende Hitze. Der Himmel war wie Quecksilber; man konnte den Sonnenball nicht sehen. Und wieder wehte kein Lufthauch. Die Zeitung meldete die Folgen der Hitzewelle: ein Zugunglück in Belgien wegen von der Hitze verzogener Schienen. In den Autos, die längere Zeit in einem Stau festsaßen, herrschten Temperaturen von über 60 Grad. In einigen Landstrichen verdurstete das Vieh auf den Weiden, und die Ernteaussichten in diesen Regionen waren mehr als düster. Die Gärtner durften Rasen, Pflanzen und Büsche nicht sprengen. Ab sofort war es auch verboten, Autos zu waschen und das Wasser in den Swimming-pools zu erneuern. Tati war wütend. Erstens verhinderten Muskelkater und Hitze ihre gewohnten tänzerischen Übungen, zweitens wollte sie nicht in die »laue Pampe« des Schwimmbeckens springen. Und wenn ein Schatten über dem Schloß und dem Park von Monton lag, so war es kein behaglich kühlender, sondern der drohende Schatten des Ragamuffins und seiner Vavas.
Diese rätselhaften Wesen aus dem Erdinnern hatten das letzte Mal bei einem irrtümlichen Angriff sämtliche Uhren im Hause zerstört – und alle Geräte, die eine Skala besaßen: also auch Barometer, Thermometer, Radios, Herd und Waschmaschine.
Sie mußten gemeint haben, das alles seien »Befehls- und Schaltgeräte«, mit denen Professor Charivari den Kontakt zu seinen geheimen Stationen und seinen geheimen Raum- und Erdschiffen unterhielt. Ein getarnter Assistent Charivaris hatte den Schaden in Madame Claires Abwesenheit repariert; zum Glück war das gesamte Ausmaß der Zerstörung nicht aufgefallen. Das Haus war ja groß. Doch ausgerechnet an diesem »verkaterten« Morgen kam Tati auf die Idee, sämtliche Geräte im Schloß zu prüfen. Auch die Fernseher. Und da kriegte sie fast einen Tobsuchtsanfall. Die Jungen und der Pudel saßen schon auf der Terrasse. Superhirn schien als einziger besser gelaunt zu sein als sonst. Er schlürfte den süßen Kakao und biß mit Behagen in das knusprige Brot. Tatjana kam aus dem Haus gesaust. »Ich werde auf der Stelle verrückt!« schrie sie.
»Mir scheint, das bist du schon«, grinste ihr Bruder Henri. »Sind denn die Uhren wieder kaputt? Oder ist irgend 'ne Skala wieder von Vava-Blicken durchbohrt?«
»Nein!« rief das Mädchen wütend. »Aber die Leute vom Fernsehen und vom Rundfunk leiden wohl an Gehirnerweichung. Wegen der Hitze. Mit meinem Transistor in der Hand steh ich vorm Fernseher. Eben gongt es aus dem Kasten acht Uhr, da setzt im Radio erst das Zeitzeichen für 8 Uhr ein. Der zweite Fernseher bringt auf dem anderen Sender den Gongschlag noch später als der erste. Und als ich zum Telefon rase, um nun mal wirklich die genaue Zeit zu erfahren, ist es 8 Uhr und eine Minute, dabei müßte es mindestens schon 8 Uhr und drei Minuten gewesen sein!«
Superhirn grinste breit: »Seid mal alle still!« sagte er. »Hör mal, Tati!«
Ping – ping – ping, hallten da die letzten Turmuhrschläge der Kirche herauf. Tati setzte sich fassungslos hin.
»Die alte Tante auf dem Kirchturm ist bald um fünf Minuten zurück«, japste sie. »Also, ich verlaß mich nie wieder auf eine Uhr! Da kann man ja die Dinger, die man im Haus herumstehen hat, allesamt wegschmeißen!«
Die Freunde machten große Augen.
»Daß die alte Uhr der Hafenkirche nachhinkt, will ich glauben«, sagte Gérard. »Na, und die verschiedenen Uhren im Haus zeigen natürlich nicht alle auf die Sekunde genau die Zeit. Aber mit dem Radio und den beiden Fernsehsendern mußt du dich geirrt haben, Tati!«
Superhirn setzte die Tasse ab. Er grinste noch immer. »Ich würd's so machen wie der gute alte Kaiser Karl. Ich meine Karl den Fünften, einst Herrscher des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Der hat von früh bis spät versucht, seine hundert Uhren alle ganz genau und gleich gehen zu lassen. Als ihm das nicht gelang, hielt er sie an und stellte sämtliche Zeiger auf die Zwölf. Nun endlich stimmt's, meinte er dann.«
»Willst du mich verflachsen?« fragte Tati kriegerisch.
»Ganz im Gegenteil«, sagte der spindeldürre Junge ernst. »Du hast nämlich ganz richtig beobachtet und gehört.«
»Wa-was? Etwa auch mit der verschiedenen Radio- und Fernseh- und Te-te-telefonzeit?« rief Prosper.
»Es gibt auf der ganzen Welt keine einzige Uhr – allenfalls eine Atom-Uhr –, die ohne dauerndes Regulieren auf den Bruchteil einer Sekunde genau geht«, erklärte Superhirn. »Wohlgemerkt: auf den Bruchteil.«
»Aber die
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