Erdwind
zurechtgemacht hatten, die Bedeutung von etwas Häßlichem.
Die Frau ging auf die Felsbrocken zu und winkte dem Mann kurz und böse, zu bleiben, wo er war. Als sie an die Stelle kam, wo der Hang anstieg, trat das Mädchen hervor und schwang warnend, doch nicht direkt drohend ihre eigene steingeladene Schleuder. Sie war zierlich und noch nicht ganz erwachsen, denn ihre Schultern hatten noch unbehaarte Stellen, die in der Kälte bläulich angelaufen waren. Doch in ihren Augen war Kraft; auch in der Art, wie sie sich zur Verteidigung spannte. Rhythmisch summend wirbelte die Schleuder um ihre Hand.
An einer Lederschnur hing ihr ein Kristallmesser am Halse, eine schöne, tödlich aussehende Waffe.
Die dunkelhäutige Frau lächelte und hielt beide Hände hoch. „Lauf diesmal nicht weg. Wir wollen keine Feindschaft mit dir.“
Die Schleuder wirbelte immer noch, aber die Feindseligkeit in den Augen des Mädchens schwand, und sie blickte zu dem Manne hin. „Er tut dir auch nichts.“
Das Mädchen ließ die Schleuder hängen, nahm den Stein heraus und warf ihn weg. Sie sagte noch immer nichts, doch sie atmete leichter und blickte unentschlossen.
„Wer bist du?“ fragte die Frau. „Warum folgst du uns immer?“
„Moir … ich heiße Moir“, antwortete sie mit schwacher Stimme. Wahrscheinlich, dachte die Frau, ist sie hergekommen, weil sie hungrig und müde ist. „Du bist …“ Sie wußte anscheinend nicht, ob sie weitersprechen sollte; sie warf einen unsicheren Blick auf den grinsenden Mann, der ein Stück hinter der Frau stand und jetzt langsam näher herankam. Dann fuhr sie fort: „Heißt du noch Elspeth?“
Die Frau lachte. „Noch? Ich habe immer Elspeth geheißen. Kennst du mich denn?“ Sie erkannte das Mädchen nicht, das nach ein paar Sekunden den Kopf schüttelte.
„Nein … nein, eigentlich nicht.“
„Warum bist du dann immer weggerannt?“ fragte der Mann ärgerlich. „Wir hätten dir schon nichts getan.“
„Das ist Karl“, sagte Elspeth lächelnd, „er macht die Muskelarbeit.“
Das Mädchen zuckte die Achseln und starrte Karl unwillig an.
„Ich war mir nicht so sicher, daß ihr mich nicht töten würdet. Ich habe gesehen, wie ihr versucht habt, in die Erdburg einzudringen – damals, mitten im Schneesturm, und ich habe gesehen, was sie euch dort angetan haben. Ich dachte mir, ihr würdet schön wütend auf die Aerani sein. Und da wußte ich nicht, was ich tun sollte. Habt ihr was zu essen? Ich habe seit Tagen nichts gegessen.“
„Wir geben dir zu essen“, erwiderte Elspeth. „Weiter oben haben wir ein kleines Feuer in Gang, in der Höhle. Willst du bei uns bleiben?“
Das Mädchen lächelte und nickte langsam. „Ich möchte schon.“
„Bist du eine Kriegerin?“ knurrte der Mann. „Kannst du kämpfen?“
„Ja. Ja, ich bin eine Kriegerin, und … ja, kämpfen kann ich.“
„Wen hast du getötet?“ bohrte der Mann weiter. „Wo ist die Leiche? Wo ist der Beweis?“
„Karl!“ mischte sich Elspeth ärgerlich ein. „Laß das! Sie ist doch noch ganz kaputt.“
Aber Moir sagte schnell: „Ich habe meinen Bruder getötet, der ein großer Krieger war. Vor einiger Zeit habe ich ihn beerdigt, oben auf der Hochfläche, unter einem Schneehügel.“
Elspeth starrte das Mädchen nachdenklich an und nickte. „Wir haben das Grab vor ein paar Wochen gefunden. Wir haben ihn aufgegessen. Es war sonst nichts zu essen da.“
Jetzt fand Karl Gefallen an dem Mädchen. „Wir machen bald wieder einen Angriff auf die Burg der Gelbhaarigen. Wir brauchen gute Krieger, gute Kämpfer. Diesmal werden wir gewinnen.“
Doch das Mädchen lächelte nur. „Warum geht ihr nicht in Frieden hin? Habt ihr jemals daran gedacht?“
Karl kicherte laut und höhnisch. „Und dann stecken unsere Köpfe auf zwei Pfählen, wie?“
Elspeth war irritiert. Irgend etwas beunruhigte sie an dem Mädchen. Dann sagte Moir: „Wo seid ihr hergekommen?“
Elspeth lachte, weil sie nicht gleich verstand, was das Mädchen meinte. Dann antwortete sie: „Nun, von hier. Wir waren immer hier.“
„Seit wann? Zwanzig Jahreszeiten, zwanzig Tage?“
„Seit dem Nebel“, sagte Elspeth unbehaglich. „Den ganzen Winter. Vorher hat der Nebel unser Leben weggenommen.“
„Alles, was ihr kennt, ist also der Winter? Von vorher wißt ihr nichts?“
„Nichts, was wir das Recht hätten zu wissen“, antwortete Elspeth, und ihr Blick glitt zur hohen Bergspitze hinauf. „Der Nebel hat uns ein neues Leben gegeben. Wir wurden
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