Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
Vom Netzwerk:
Vorstellung von einem gemütlichen Nachtspaziergang.
    Ein plötzlich aufflammender Lichtschein erschreckte ihn: Ein Stück weiter vorn war eine Fackel angezündet worden (wie machten sie das, fragte er sich). Eine undeutliche Gestalt hielt die Fackel und winkte mit ihr. Ashka tastete sich weiter vor und löste sich vom Walde, schritt über offenes Gelände in ein busch- und baumbestandenes Gebiet. Die Fackel schwankte ihm voran, webte Lichtstriche zwischen den Bäumen, verschwand und tauchte hinter aufrecht stehenden Blöcken wieder auf, die Ashka im Vorbeigehen abtastete und rasch auf Zeichen hin untersuchte; doch konnte er nicht unterscheiden, ob es natürliche oder von Menschenhand geschaffene Gebilde waren.
    Der Weg kam ihm endlos vor, doch dauerte es nur ein paar Minuten, bis das Licht der führenden Fackel Schatten über einen großen Hügel warf, der sich aus dem Walde erhob wie der Buckel eines schlafenden Ungeheuers. Er war vier- oder fünfmal so hoch wie Ashka und hatte eine sanft gerundete Form, die, wie er meinte, einem Prähistoriker vertraut sein mußte, die ihm jedoch, unwissend wie er auf diesem Gebiet war, völlig fremd vorkam. Elspeth würde wissen, warum er gerade so groß und so geformt sein mußte; dieser Tumulus war zweifellos die Rekapitulation eines Stückes der Steinzeitkultur, die sie so faszinierte. Für Ashka war es ein von Menschenhand errichteter, ganz uninteressanter Bau, doch mit einem kleinen Eingang, bei dem man sich erheblich bücken mußte. Iondai wartete vor diesem Eingang und schwang die Fackel, als könne er damit die Beleuchtung des schwierigen Pfades irgendwie verbessern.
    Kaum hatte Ashka den Hügel erreicht, da bückte sich Iondai, noch ehe Ashka etwas sagen konnte, und verschwand im Inneren. Ashka konnte noch kurz den reich ornamentierten Türsturz in etwa Gürtelhöhe erkennen, ferner ein komplexes Kerbmuster am Eingang des Ganges, das, wie er bestimmt glaubte, die Erdströme im Stein darstellte; dann war das Fackellicht nur noch ein ferner Schimmer, und er kroch durch den feuchten Tunnel, verkrümmt und unbequem, sein Atem hing in der eisigen Luft, unter seinen vorsichtig forschenden Fingern fühlte er den kalten, nassen Stein. Dieser klaustrophobische Felsenbau war entschieden unangenehm – ihm war, als ob ihm jedesmal, wenn er den Stein berührte, ein leichenfressender Dämon oder ein Gespenst in den Kragen atmete. Er zog sich ganz zusammen, als er den schrägen Gang weiter hinunterkroch, der bestimmt in die bittersten Tiefen der Erde führen würde. Das gelbliche Flackern der Fackel wurde sein Leitstern, der Brennpunkt seines Bewußtseins. Es bedeutete Wärme und Sicherheit.
    Er war froh, als er den großen Saal erreicht hatte, der sicherlich zweihundert Yards lang war. Da stand auch Iondai, die Fackel in der Hand, das Antlitz maskenhaft, ohne Lächeln, mit tiefen Schatten.
    „Wir sind beinahe am Ziel“, sagte er zu Ashka, der sich aufgerichtet hatte und um sich schaute.
    Sogleich war Iondai wieder in einem Seitengang verschwunden, und jetzt klangen seine Schritte sonderbar laut und scharf in Ashkas Ohren. Er eilte hinter diesem seltsamen Aerani her und hielt sich jetzt näher bei ihm. Schon nach ganz kurzer Zeit stiegen sie eine steile Rampe hinunter und gelangten in einen kühlen, doch nicht so eisigen Raum, der hell von Fackeln erleuchtet und dessen Boden mit Fellen ausgelegt war. Die Wände waren mit Erdstrom-Mustern und anderen Gebilden ornamentiert, über deren Bedeutung nachzusinnen Ashka keine Zeit hatte. Mehrere Gänge stießen an diese natürliche Höhle; doch Iondai setzte sich hin und blickte seinen Gast an.
    Ashka setzte sich ebenfalls auf den fellbelegten Fußboden und sah sich weiter in der Höhle um. Zweifellos wohnte der Seher hier, und hier machte er wohl auch seine Voraussagen. Einer der Gänge mußte in die Erdburg hineinführen. Durch den zweiten Gang, der vom Walde kam, waren Ashka und Iondai hierhergekommen; wohin also führte der dritte Tunnel? Vielleicht war es nur ein zweiter Ausgang.
    Iondai lächelte, als er sah, daß Ashkas Blick auf dem unteren Tunnel ruhte. „Er führt in die Feuer-Halle“, sagte er.
    „Ah“, sagte Ashka und lächelte zurück; dann erschauerte er, denn sein Körper konnte sich nicht gleich auf die Kühle einstellen. „Und der da? Wohin führt der?“
    „Zum Orakel“, antwortete Iondai, „zum Lied der Erde. Möchtest du es sehen?“
    „Sehr gern.“ Lied der Erde? Ein Bild, bei dem ihm kein Orakel einfiel, das

Weitere Kostenlose Bücher