Erdwind
Menschenfresser hineinzurennen – das war das letzte, was er sich wünschte; ob er nun durch die Zeit oszillierte oder nicht –, Fleisch blieb Fleisch, und Ashka war immer noch ein schmackhafter Bissen.
Er griff nach dem Motorschlüssel, doch er konnte ihn nicht finden. Er war auch nicht in seinem Beutel, und unbewußt tastete er auf dem feuchten Metallboden des Floßes herum.
Das Wesen kam nicht näher heran. Es war in der Richtung auf ihn zugelaufen, und jetzt, völlig vor seinen Blicken verborgen, war es stehengeblieben, versuchte, ihn auszumachen. Trotz aller Bemühungen gelang es ihm nicht, einen ruhigen Zyklus des Ein- und Ausatmens zu erreichen. Er schnappte nach Luft, um den ständigen Sauerstoffmangel auszugleichen. Das Geschöpf kam wieder näher – er konnte seinen Schritt hören; er konnte sich vorstellen, wie es im Weißen nach einer Form oder einem Schatten suchte, die es zu seiner Beute führen sollten.
Elspeth würde ihm nie verzeihen, dachte er, wenn er sich auffressen ließe, bevor er auch nur einen Bruchteil dessen weitergab, was ihm nun klargeworden war.
Wo war dieser verdammte Schlüssel?
Schließlich fand er ihn, eine kleine Metallscheibe, kalt und feucht vom Nebel. Er arbeitete am Startschloß herum, jetzt laut keuchend, denn der Gedanke an die mögliche Grausamkeit des Schicksals, das ihn vielleicht samt seinen Beobachtungen von der Bildfläche wischen würde, versetzte ihn in panische Angst.
Er hätte daran denken können, daß ihm das ching einen friedlichen Tod vorausgesagt hatte, was auch auf dem Aeran noch gültig war; doch in seiner Panik, allein im kalten Nebel dieser fremden Welt, verlor er jede Kontrolle über seinen Verstand. Er tastete am Starter herum und fluchte lauthals, als ihm der glatte Schlüssel wieder aus der Hand rutschte.
Das Wesen kam aus dem Nebel heraus. Zuerst nur ein undeutliches, schwankendes Gebilde, dann etwas Graues, das mit jedem Schritt deutlicher hervortrat.
Fasziniert sah Ashka ihm entgegen, denn jetzt hatte er keine Angst mehr.
Sie tauchte aus dem Nebel hervor und lächelte ebenfalls erleichtert. „Ich konnte Sie hören, aber in diesem Nebel täuscht es.“
„Elspeth“, keuchte er beruhigt und versuchte, seinen rasenden Herzschlag zu regeln. „Ich dachte …“
Sie ignorierte den unbeendeten Satz, kam heran, setzte sich auf den Floßrand und sah ihn entschlossen an.
„Na?“
„Was heißt ‚na’?“
„Sie haben es also herausbekommen.“
Er lachte. „Zum Teil. Nur zum Teil.“
„Diesmal“, entgegnete Elspeth, „kommen Sie mir nicht so leicht davon.“
11
Als der Nebel aufstieg, klomm Elspeth aus dem Tal hinauf und sah dem Floß nach, das über dem Unterholz auf den fernen Wald zuschwebte. Sie hatte Ashkas Angebot, sie zum crog zurückzubringen, abgelehnt. Sie hörte Stimmen hinter sich, drehte sich um und sah Darren und Moir, die einen toten Schwarzflügler schleppten. Eilends kam sie ihnen zu Hilfe, auch in der Hoffnung, daß die Geschwister sich wieder vertragen hätten; doch was sie miteinander sprachen, bezog sich nur auf ihre gegenwärtige Tätigkeit.
„Fein gemacht“, sagte sie und faßte mit an. Darren gab keine Antwort.
Gegen Abend, als Elspeth im crog saß, und zwar direkt am inneren Wall, weit weg von der größten Gruppe der Aerani, sah sie ein unblutiges Duell um das Recht, das Fluß-Lied zu singen. Moir war draußen, und Elspeth hatte ihr vor etwa einer Stunde ein paar Bissen zum Essen hinausgeschmuggelt. Das Mädchen war unglücklich, doch es ging ihr nicht allzu, schlecht. Darren hatte ihr eine Decke aus Schwarzflügler-Leder und ein kleines Knochenmesser gegeben. Der junge Mann saß mißmutig nahe der Hauptgruppe am Feuer, doch war sein Gesicht vorwiegend im Dunkeln. Die Fackeln rings an den Erdwällen wurden soeben angezündet.
Das Duell war entschieden, die Gegner wurden getrennt, und der Verlierer hockte sich finster am Außenrand des Feuers hin. Der Sieger kroch den inneren Wall empor, hockte sich oben auf den Rand und sang das unheimliche Fluß-Lied mit seinen rauschenden Kadenzen und knackenden Kehllauten. Der Sänger des Baum-Liedes war stimmlich ebenfalls in Hochform; die beiden Melodien vermischten und verschlangen sich über dem glosenden Feuer. Vor Elspeths innerem Auge tauchten bruchstückhafte Bilder aus ihrer Heimatwelt auf, und aus der stillen ländlichen Einsamkeit, die sie auf dem Planeten Erde erlebt hatte. Sie erinnerte sich noch an vieles, und sie war erleichtert, als sie das
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