Erdwind
diversen kosmischen Kräften. Wie er es beschrieben hatte, schien sich alles so logisch mit dem tao zu verbinden – der Strom der Energie, die Verdichtung der Materie, die Prozesse der Anziehung und Abstoßung, die von den Sternen und Planeten ausstrahlen – und jene ungesehenen, unvorstellbaren Kräfte, die auf den drei Monate alten Fötus einen so dauernden Einfluß hatten, daß sie jeden Mann, jede Frau als eine Funktion seines oder ihres kosmischen Ortes bestimmten. Astrologismus hatte Ashka das genannt, aber diese Bezeichnung war einer jener vagen Rationalisten-Fachausdrücke. Sie hatte es nicht gewußt, und bei der Nachbetrachtung kam es ihr überhaupt nicht mehr logisch vor, sondern nur sinnlos.
Alle diese Kräfte, hatte er gesagt, stehen in gewissen Wechselbeziehungen, und wo sie sich mit der Materie überschneiden, entsteht unter anderem Zeit. Manchmal können sich Unregelmäßigkeiten in dieses Gleichgewicht einschleichen, und dann verändert sich die Zeit – einst war einmal ein Mensch durch die Zeit gereist; er hatte dazu eine Maschine benutzt, aber auch seine eigene Geisteskraft, indem er Unregelmäßigkeiten innerhalb seines körpereigenen elektrischen Feldes hervorrief. Hier auf dem Aeran bestand auch eine solche Unregelmäßigkeit, vielleicht im Umkreis von Lichtjahren, vielleicht auch nur von ein paar Meilen über der Planetenoberfläche. In gewissem Sinne gehörte der Aeran zu einem anderen Universum, obgleich er physikalisch dem unseren entsprach.
Und wie war es mit dem Irland vor siebentausend Jahren?
Wenn (hatte er gesagt) die gemeinsamen Symbole der beiden Kulturen eine Funktion dieser Unregelmäßigkeit sind – jawohl, dann mußte damals in Irland ein lokalisiertes Ungleichgewicht bestanden haben, mochte es nun ein paar Jahre oder ein paar Jahrhunderte gedauert haben, das mit diesem kleinen Stück des Planeten Erde durch ein besonderes Wesen verbunden war oder – man denke an den laufenden Mann – durch den Geist dieser ganz bestimmten Steinzeit-Bevölkerung selbst. Aber das alles sei nur eine Idee, hatte er gesagt, nur eine Idee – allerdings spürte sie instinktiv, daß er selbst daran glaubte.
Zeit und Symbole. Symbole und Zeit. Gab es da eine Relation? Wie konnte es keine geben? Wie konnte ein komplizierter Satz von Symbolen nach siebentausend Jahren Dunkelheit wieder auftauchen, wenn da nicht eine Beziehung zu der gewaltigen Anomalität des Aeran vorhanden war? Und wenn diese Symbole wieder auftauchten, war das nicht ein Hinweis darauf, daß auch im Irland der Großsteingräber-Kultur eine Zeit-Anomalie bestanden hatte?
Sie durchdachte dieses Problem nach allen Seiten und verfolgte diesen gedanklichen Prozeß fast gleichgültig, fast ohne innere Anteilnahme. Baute sich ihre Logik ebenso ab wie ihr Gedächtnis? Die Antwort auf diese Frage war doch klar: Zeit und Symbolismus des Boyne-Tals waren mit denen des Aeran verkettet, waren aufeinander bezogen – ohne eine Veränderung der lokalen Zeit hätte es diese Symbole nicht gegeben, weder damals in der Morgendämmerung der Erden-Kultur noch jetzt in der neuen Morgendämmerung.
Und warum konnte sie so viele Symbole erklären (oder bildete sich wenigstens ein, daß sie es könnte), aber nicht jenes eine? Warum glaubte sie, alle diese einfacheren Ornamente erklären zu können, die abstrakten Darstellungen des Erdstromes im Stein, Wasser und Wind, die Rhomben, Kreise, Dreiecke, konzentrischen Spiralen, Doppelspiralen … doch nicht jenes eine Muster, die drei Doppelspiralen, die sich in die Mauer ihres Geistes eingruben, wie die Hand eines unbekannten Künstlers sie vor einer Million Lebenszeiten in die Grabwand von Newgrange eingegraben hatte?
Wie magisch war dieses Sgraffitto, wie erregend das Symbol, wie tief hatte es die berührt, die es anschauten, geduckt in dunkler Felsenkammer, umschlossen von Steinplatten und dem schweren Erdgeruch? Fiel der Schein der Fackeln darauf, so verstummten alle. Damals, als man die Erde noch als seine Heimat liebte, hatten vielleicht tausend Generationen den Erdwind staunend betrachtet und sich gefragt: Was mag das bedeuten? Wer hat das eingemeißelt? Was hat er sich dabei gedacht, als er am Felsen hämmerte und ein Kunstwerk hinterließ, das einem ins Hirn geht und den Sinn für prähistorische Zeiten weckt wie kein anderes Symbol, kein anderes Gebilde aus Fels und Himmel?
Etwas, das Ashka am Nachmittag gesagt hatte, fiel ihr wieder ein: Sie hatten (nur kurz) über die Symbole gesprochen. In
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