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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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ei n dringlich und zerrte die Jenseitlerin von dem Gang mit dem rä t selhaften Schimmer weg.
    „Der Seher“, hauchte sie.
    Und sie kamen an den Tunnel, der nach oben führte. Moir kletterte voran, spähte durch den engen Ausgang, kroch hi n durch, wandte sich um und winkte Elspeth nachzukommen. Sie stemmte sich durch den engen Spalt und befand sich zwischen behauenen Blaurindenstämmen und Steinen: ein dunkler Gang, verlassen, mit Lücken in der inneren Wand, die Durchblick in einen zweiten Gang gewährten. In der Ferne hörte sie Sti m men.
    Sie war in der Feuer-Halle. Zurück konnte sie nun nicht mehr. Tief gebückt, in Deckung, so gut es möglich war, schlichen sie durch die Gänge und gelangten in den Haup t gang, der um das eigentliche Zentrum der Feuer-Halle lief. Diese war ein weitlä u figer Raum, in dem das Ewige Feuer hoch und wild mit schräger Flamme prasselte. Kochgruben und Gefäße säumten die Wände; in der Mitte befand sich der leicht vertiefte Kreis für Versam m lungen. Drei bejahrte Frauen, den Pelz mit Hol z kohle beschmiert, hockten beim Feuer, bewachten die Flammen und warfen ab und zu Stei n splitter in die Glut.
    Die inneren Wände bestanden aus Steinplatten, wohl die R e ste eines Ringes von Menhiren; die Quer-Stürze waren entfernt und mit einer durchhängenden Flechtmattendecke ersetzt. Zw i schen den Steinen spähten ein paar Gesichter, doch der Gang lag grö ß tenteils im Dunkeln, denn er diente nicht dem Verkehr, sondern rituellen Zwecken. In diesem Schatten fühlte sich Elspeth einigermaßen sicher und gebo r gen.
    Die Jenseitler waren schon da. Sie saßen steif und unb e quem den drei Ungenn und mehreren Familienhäuptern g e genüber, den Ältesten jeder der drei Generationen der b e deutendsten Familien. Darren saß mit kalter, feindseliger Miene im Kreise neben seinem Vater, der mit seinem gelbl i chen Knochenschwert spielte. Es waren über zwanzig Aer a ni, manche jung, manche so alt wie der älteste Ungenn, Da r rens Großvater.
    Ihnen gegenüber: vier Männer und zwei Frauen. Der gr o ße, starkgebaute Mann, reich gekleidet, fließende Robe und U m hang, genietete Riemen über der Brust – dieser Mann mußte der Führer der Gruppe sein. Er bot einen prächtigen Anblick: tiefliegende Augen, das lange, dunkle Haar z u rückgekämmt und im Nacken zu einem ausladenden, g e lockten Schweif zusammeng e bunden. Die Männer und Frauen an seiner Seite sahen nicht so prachtvoll aus; sie w a ren alle gleich gekleidet und hatten alle die gleiche eindrin g liche Miene aufgesetzt – eine Maske eindringlicher Au s druckslosigkeit. Steckte Furcht d a hinter?
    Da war einer, ein alter Mann, der an den Wänden der Feuer-Halle entlangging und die Waffen und Wandzeic h nungen mit profe s sionellem Interesse studierte. Er bewegte sich auf die Stelle zu, wo Moir und Elspeth hockten. Ob er sie sehen wü r de?
    Das Feuer prasselte laut. In seinem glänzenden Wide r schein tr a ten die Runen und Symbole auf den Felswänden stark, faszini e rend, reliefartig heraus. Elspeths Augen sogen alles ein, absorbierten jedes Detail der Feuer-Halle und bli e ben schlie ß lich auf dem größten Stein der inneren Wand, direkt hinter den Ungenn, haften.
    Der Magen drehte sich ihr um – eine Eingeweidereaktion, wie man sie bei völliger Überraschung hat. Ein großartiges Symbol, eines, das sie auf dieser Welt noch nicht gesehen ha t te, und doch eins, das sie wohl kannte: ein großräumiges Drei-Spiralen-Muster, keine fortlaufende Linie, sondern drei Spiralen dicht beieinander in Dreiecksformation, ein doppe l ter Mi t telpunkt, der in Parallelen ausstrahlte, das Auge zum Verfolgen der engen, sich bis zu ausladenden Armen erwe i ternden Kurven herausforderte, von mikroskopischer Klei n heit bis zu makroskopischer Weite. Ein Symbol, das sie b e reits auf der Erde gesehen hatte, ein selt e nes, rätselhaftes Symbol. Die Spirale an sich war etwas ganz Gewöhnliches, die Doppelspirale wohlbekannt, und verbundene Spiralen fand man überall auf dem westeuropäischen Kontinent; doch diese Dreierdarstellung war selten … selten auf der Erde, und auf dem Aeran hatte Elspeth sie bis jetzt auch noch nicht gesehen.
    Fragend wandte sie sich zu Moir um und deutete auf das Spir a lenmuster. Verwundert, vielleicht weil Elspeth nach so etwas Selbstverständlichem fragte, gab Moir den Blick z u rück.
    „Der Erdwind.“
    Es klang ganz einfach, unbedacht, gleichgültig. Der Er d wind, das Symbol, das ihnen das Leben gegeben

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