Erdwind
ist eine Angst, die eigentlich keinen Sinn hat, aber Angst ha t ten sie. Sie hatten Angst, als die Ungenn sich so hartnäckig weigerten, das Angebot anzunehmen, aber als das Tangelkraut die beiden Leibwächter entwaffnete, hatten sie keine Angst mehr. Hast du das bemerkt?“
„Sie wußten gar nicht, was geschah“, lachte Moir, „es ging so schnell.“
„Aber der Schiffs-Meister nahm es sehr übel. Ich dachte, Darren und sein Vater – dein Vater – würden einmal, als er so überhe b lich war, auf ihn losgehen.“
„Ich ärgere mich mächtig über meinen Vater“, sagte Moir bissig. „Er und Darren gehorchen dem Orakel nicht – oder j e denfalls gehorchen sie nur, wenn es ihnen paßt. Aber das Or a kel weiß Bescheid, und sie sollten sich mehr nach ihm ric h ten.“
Beide fielen in Schweigen, und dann griff Elspeth in die T a sche und holte das Pulver aus dem Hügel hervor. Sie starrte es an; es war ihr ein bißchen unangenehm, und schließlich ließ sie es durch die Finger zu Boden rinnen. Asche – unverkennbar Asche und pulverisierte Knochen.
Da hörten die beiden Mädchen, wie jemand aus dem Tunnel des Hügels herauskroch. Sie fuhren herum, starrten auf den Erdau f wurf, warteten eine knappe Sekunde, blickten einander entsetzt an, sprangen auf und rannten los.
Mit Windeseile verschwanden sie im Wald, blieben st e hen, star r ten zur Lichtung zurück und begannen dann einen sehr vorsicht i gen und schmerzensreichen Rückzug.
„Wir müssen uns trennen“, schrie Elspeth – aber sie hätte es gar nicht zu sagen brauchen, denn Moir war schon ein ganzes Stück voraus.
Elspeth wechselte die Richtung und rannte zum Fluß. Als sie einen Moment stehenblieb, um zu lauschen, konnte sie nichts mehr von Moir hören, aber den Verfolger hörte sie ganz deu t lich. Wahrscheinlich einer, vielleicht zwei waren hinter ihr her – und sehr schnellfüßig.
Sie zwang sich, nicht auf die Dornen und die scharfen Ränder bestimmter Blätter zu achten, über die sie sonst hi n übersprang oder denen sie mit größter Vorsicht auswich. Laut und atemlos pflügte sie durch den Wald; wenn man sie fangen würde, mu ß te sie das Schlimmste fürchten, und sie war fest entschlossen, sich nicht erwischen zu lassen. Ein Stück weiter den Fluß en t lang, gut versteckt, lag ihre Fähre.
Ihr Verfolger – Mann oder Frau – holte stetig auf. Als sie schlie ß lich stehenblieb, um zu Atem zu kommen, und sich fragte, warum sie nicht ihren ‚zweiten Wind’ bekam, hörte sie ihn (oder sie) schnell näher kommen; er (oder sie) war höchstwahrschei n lich jung; und das war, wie sie wußte, noch schlimmer. Die Heranwachsenden waren sehr intol e rant, wenn jemand auf frischer Tat beim Bruch der Ritualg e setze ertappt wurde.
Sie erreichte das dünnere Unterholz des Flußufers und lief noch schneller auf den zerfallenen Landesteg zu, wo die tiefe Rinne war, in der sie ihr Fahrzeug versteckt hatte. Ihr Rock war hinderlich, doch sie hatte keine Zeit, ihn ausz u ziehen. Ihre Beine waren ganz gefühllos, ihre Obersche n kelmuskeln schmerzhaft verspannt, doch sie trieb sie rüc k sichtslos vorwärts, obwohl sie wußte, daß sie große Schme r zen haben wü r de, wenn sie sich nachher vom Roboter-Schiffsmasseur bea r beiten ließ.
Völler Schrecken sah sie, daß der helle Schimmer, den sie weit voraus erkennen konnte, der freigelegte Tragflügel der Fähre war. Hatte sie das Fahrzeug bei der letzten Landung nicht richtig getarnt? Bestimmt hatte sie es getan. Sie blieb einen Moment stehen, blickte über die Schulter, nahm zwei tiefe, köstliche Atemzüge – und dann sanken ihre Hoffnu n gen.
Eine Gestalt bewegte sich bei der Fähre, sprang von Deckung zu Deckung, doch sie erkannte die fließende Robe eines Je n seitlers. Die Hände an den Hüften, der dumpfen Schritte des Verfolgers gewärtig, fand sie sich damit ab, kämpfen zu müssen. Sie schät z te des Mannes Näherkommen ab – sie konnte seinen ruhigen Atem hören und wußte, in ein paar Sekunden würde er sie anfa l len. Ihre Hand fuhr unter den Gürtel ihres Rockes und lockerte das winzige Stilett.
Sie wandte sich um, bereit, die Waffe zu ziehen und auf den A n greifer zu schleudern.
„Darren!“
Ohne zu bremsen rannte Darren in sie hinein, und ehe sie die Hände vors Gesicht nehmen konnten, schmetterte seine Faust gegen ihren Unterkiefer und warf sie um. Betäubt, während das scharfe Stechen in ihrem Kopf zu einem dum p fen, intens i ven Schmerz wurde, richtete sie sich auf
Weitere Kostenlose Bücher