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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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jedoch schon vorbei, als sie sich über diese unwillkürliche Angstreaktion klar war. War das denn wirklich so wichtig? Auf jeden Fall war es zu spät, um die langsame Auflösung der Erinnerung an ihre Vergange n heit aufzuhalten. Die Ze r setzung hatte bereits begonnen, und wenn es immer so lief wie bei Austin, dann würde die Ze r setzung weitergehen, ob sie nun von hier wegging oder nicht.
    „Die Versammlung wurde abgebrochen …“
    „Es gab einigen Ärger“, lächelte der alte Mann, „wir wurden rausgeschmissen. Eine sehr rätselhafte Kolonie …“
    „Ja.“ Unbewußt nickte sie zustimmend, wechselte aber brüsk das Thema. „Da gleich im obersten Fach ist ein Erste-Hilfe-Kasten. Bringen Sie ihn mir, bitte?“
    Sie setzte sich am Ufer hin und wartete auf den Rational i sten. Von ihrem Platz ganz unten an dem spärlich bewac h senen Flu ß rand konnte sie nur Dschungel sehen. Von ferne hörte sie Tie r schreie, konnte sie aber nicht identifizieren. Wie immer lag st e chender, leicht fauliger Pflanzengeruch in der Luft, doch daran gewöhnte man sich bald, ebenso wie man den geringeren Saue r stoffgehalt der Atmosphäre nicht mehr empfand, sobald man das anfängliche Unbehagen bei der Ankunft überwunden hatte.
    „Mein Name ist Peter Ashka“, sagte der alte Mann, setzte sich neben Elspeth und gab ihr zwei kleine, weiße Kissen.
    „Elspeth Mueller“, murmelte sie und drückte sich die Kissen an die Wangen. Sie kniff die Augen zu, als Myriaden winziger N a deln injizierend und absorbierend in ihre Haut drangen.
    Ashka streckte die Hand aus und schüttelte ihren kleinen Finger mit dem seinen. Sie lächelte.
    „Sieht man so deutlich, daß ich Schiffs-Rationalist bin?“ fragte er. Er rückte näher zu ihr, und dabei zog sich sein Körper fast in sich selbst zusammen; er verschwand beinahe in dieser unprakt i schen Robe. Er muß frieren, dachte Elspeth mit einem Seite n blick auf ihn. Sie nickte.
    „Nicht unbedingt Schiffs-, aber jedenfalls Rationalist. Gleich habe ich es allerdings nicht gesehen. Ich bin seit e i ner ganzen Weile ein bißchen weg von alledem.“
    „Weg von alledem? Wovon? Von der Zivilisation?“
    Elspeth lachte und bedauerte das sofort. Sie hoffte, ihr Lachen hatte nicht zynisch geklungen, aber der Wert dieser B e zeichnung kam ihr ziemlich eingeschränkt vor, seit sie mit der Aerani-Kultur in Berührung gekommen war, einer Steinzei t kultur – einer sehr hohen Kultur jedoch, nach dem einzigen Maßstab, der ihrer Ansicht nach von Betracht war: dem hohen Grad ihrer Komm u nikation und Kooperation mit der Natur, die sie nutzten, ohne drastische ökologische Ve r änderungen zu verursachen. In ihrer Vorstellung sah sie di e se Definition durch ihr Hirn laufen, vie l silbige Wörter in glänzend schwarzer Druckschrift. Sie dachte oft in Defin i tionen, ein Überbleibsel der intensiven Fachgelehrsa m keit ihrer Jugend.
    „Daher kommt es vielleicht“, entgegnete Ashka, „daß ich nicht genau determinieren kann, wer oder was Sie sind. Das soll übr i gens eine sehr geschickt formulierte Frage sein.“
    „Damit ich nicht merken soll, daß Sie mich ausspionieren. Ah – diese Rationalistendiplomatie!“
    „Wir arbeiten auf Ebenen, von denen die meisten Me n schen gar nicht wissen, daß sie sie in sich haben.“
    Ein alter Rationalistenscherz. Elspeth lachte, weil das leichter war, als den alten Herrn in Verlegenheit zu bringen. Sie spürte ein warmes Tröpfeln an ihrem Handgelenk und nahm das Ki s sen von ihrer rechten Wange. Dunkles Blut war von dem Absorpt i onskissen auf ihre Haut gelaufen, und sie fluchte leise. „Immer erwische ich die undichten! I m mer!“
    „Ihr Gesicht sieht schon viel besser aus. Tut es noch weh?“
    Tatsächlich war der Schmerz weg. Komisch, dachte sie, wenn der Schmerz aufhört, merkt man es manchmal gar nicht, doch wenn er kommt, steht er im Mittelpunkt des B e wußtseins.
    „Es ist schon besser, Opa. Viel besser.“
    „Sie können Ashka zu mir sagen, wenn Sie wollen …“
    Elspeth hatte gar nicht gemerkt, was sie da gesagt hatte. Sie war in die lässige Sprechweise und Haltung zurückgefa l len, mit der sie gelebt hatte, in der sie aufgewachsen war. Respektlosigkeit war fast eine Weltanschauung. In mehrjä h riger Abwesenheit von ihrer Heimatwelt war ihr diese Ha l tung abhanden gekommen, daher hatte sie es jetzt als evol u tionär erfr i schend empfunden, wieder einmal so zu reden. Doch sie kam sich scheußlich vor. „Ich bitte um Entschuld i gung,

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