Erdwind
eine Vorahnung, ein Gefühl, als ob ich gleich sterben müßte. Seltsame Gedanken – und nicht meine G e danken.“
„Du hättest die Frage stellen sollen, als ich es dir sagte“, entgegnete Iondai gelassen. „So macht es das Orakel nä m lich – es spricht direkt zu dir.“ Stumm blickte er Ashka an; sein lebha f tes Gesicht mit der schütteren Behaarung verriet deutlich seine Unsicherheit. Endlich fuhr er fort: „Ich dac h te, du hättest keine Angst vor dem Tode. Ich dachte, dein Übertritt sei dir bereits angekündigt.“
„Das stimmt.“
Nur noch Sekunden. Waren sieben Monate für die tre i bende Kraft des Aeran-Orakels nur ebenso viele Sekunden? Seku n den. Er war verstört, verwirrt, irritiert. Etwas hatte in seinen Geist geblickt und hatte vielleicht seine wachsende Todesa h nung gespürt, hatte sie als unausgesprochene Frage aufgefaßt – wann werde ich sterben? Und es hatte geantwo r tet. Und sieben Monate waren auch nicht viel, ganz gleich, ob er sich etwas anderes einzureden ve r suchte. Das Leben war eine Ansammlung von Momenten, aufg e reiht am Faden der Zeit. Hier ein glückliches Geschehen, dort ein trauriges; hier Abenteuer – und Lernen; immer ein paar Auge n blicke des Lernens, des Einsammelns. Er hatte für die vielen Auge n blicke gelebt; und jetzt waren nur noch Augenblicke ü b rig.
Das Lied der Erde war nur das Echo dessen, was ihm das ching gesagt hatte. Seine Ausdrucksweise war eben anders, direkter. Weiter nichts.
Ashka entspannte sich also und beschäftigte sich kurz damit, den lockeren Gürtel seiner Robe fester zu binden. Der Saum des Stoffes war zerrissen und feucht, ein unangene h mes Gefühl auf der Haut. Plötzlich fiel ihm wieder ein, wa r um er e i gentlich hier war. „Was hat es gesagt? Über die Mission, me i ne ich.“
Iondai blickte ihn an. „Es hat gesagt, wir sollten es tun. Es hat das gleiche gesagt wie dein ching. Ich habe jetzt gr o ßes Vertra u en zu deinem Buch. Ich hätte nie gedacht, daß Proph e tenkraft anderswo wohnen könnte als in unserem Orakel. Wir beide z u sammen haben etwas begriffen, was wir meinem Vo l ke mitteilen müssen.“
„Ja“, antwortete Ashka, ohne recht zu wissen, was er sa g te. „Sie müssen natürlich auf die Orakel hören. Der Weg, den sie weisen, ist der beste. Es wäre ein schwerer Fehler, von dieser Richtung abzuweichen.“
Iondai lachte; Ashka konnte nicht ergründen, warum. „Meine vollständige Frage betraf nicht nur die Durchfü h rung der Miss i on, sondern auch, was dabei herauskommen wird, wenn wir ihnen tatsächlich sagen, was die Orakel pr o phezeit haben.“
„Und?“
„Die Oberen werden zwischen uns stehen.“
„Hat es gesagt, daß es eine friedliche Lösung gibt?“
„Kein Hinweis.“
„Dann frage es.“
Iondai schüttelte den Kopf. „Das wage ich nicht. Zuviel fragen ist respektlos.“
„Unsinn!“ rief Ashka aus. „Ein Orakel ist dein Diener, nicht dein Herr.“
„Das kann ich nicht gelten lassen“, erwiderte Iondai b e drückt. „Wir alle sind Diener der Erde unter unseren Füßen. Sie schützt uns, gibt uns Wohnung, wärmt uns, nährt uns … und sie gestattet uns, das Schicksal zu erkennen. Ihr gege n über sind wir demütig.“
Ashka konnte dagegen nichts einwenden. So mußten alle Erd-Kulturen fühlen. Es war nur vernünftig, und er war nicht hier, um ihre Lebensphilosophie zu ändern. Und das ching war, wenn auch nicht sein Herr, so doch eigentlich auch nicht sein Diener. Es war sein gleichberechtigter Par t ner, und zwar der temper a mentvollere von ihnen beiden. Ashka hatte Respekt vor diesem Temperament, und Iondai hatte Respekt vor der machtvollen Erde. In seiner Primitiv i tät sah er sie vielleicht als einen Gott, als ein übergroßes Wesen, an dessen Busen die Aerani sich kusche l ten. Das war rational.
,Die Oberen werden zwischen ihnen stehen.’ Was konnte das bedeuten?
„Ich glaube, es meint eine der drei ältesten Familien. D e ren Männer sind wild und angriffslustig von Natur; sie gla u ben nicht recht an das Orakel und verhöhnen es. Sie sind vielleicht …“ – er lächelte dünn – „… ein wenig wie du und meinen, das Orakel sei etwas für die niederen Klassen. Leicht möglich, daß es Schwi e rigkeiten gibt, wenn sie den Spruch des Orakels a b lehnen. Schon bei der Versammlung in der Feuer-Halle waren sie dagegen.“
„Ja“, bestätigte Ashka und blickte auf den Mund des Or a kels. Er glaubte, am Rand des Loches eine Bewegung zu hören, und blickte
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