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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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herbei und sah auf das schmo l lende, tränenüberströmte Steinzeitkind hinab, das zusa m mengekrümmt und in fünfzehn oder mehr blaßbraune Schlangen verstrickt am Boden lag, den Ranken jener unb e rechenbaren Steppenflora. Lachend half sie dem Mädchen, sich zu befreien; schließlich kam Moir los, und Elspeth hatte einige Mühe, die Ranken von ihrem eigenen Körper abz u wickeln.
    „Warum bist du weggelaufen?“
    Moir starrte sie an, erst feindselig, dann ärgerlich, dann verwirrt, dann in Tränen ausbrechend. Elspeth schlang die Arme um das Mädchen, und Moir ließ sich auch umarmen, preßte ihr Gesicht an die Brust der älteren und zuckte ein paarmal in u n terdrücktem Schluchzen auf. Sie weinte sich ihre Verwirrung aus der Seele heraus.
    „Darren …“
    „Dein Bruder versteht eine ganze Menge vom Frauenve r prügeln.“ Sie blickte zu den Klippen zurück. Von dem ju n gen Mann war nichts zu sehen.
    „Ist nicht mehr mein Bruder“, stieß Moir bitter hervor. „Ich hasse ihn genauso wie er mich.“
    „Ach, Moir, das geht schon vorüber. Ihr werdet euch schon wi e der zusammenraufen. Und wenn du ihn haßt, was tust du übe r haupt hier?“
    Moir sah sie an, als sei sie verrückt. „Wo soll ich denn sonst hin? Unser Blut ist geschieden; aber die Ungenn haben mich aus dem crog verbannt, und nur Darren kann ein Wort zu me i nen Gunsten sagen.“
    „Du willst ihm also überallhin nachlaufen, weil du hoffst, er wird dir verzeihen – ja?“
    „Was kann ich denn sonst tun? Ich verhungere doch hier dra u ßen.“
    „Und alles, weil du nicht mit mir kämpfen willst. Findest du, daß ich schuld bin, Moir? Bist du deswegen wegg e rannt?“
    Das Mädchen schwieg.
    „Warum hast du dich freiwillig entehrt, Moir? Hattest du Angst vor meinen geheimen Kräften? Oder hattest du Angst, du würdest mir den Kopf abhauen, weil ich noch niemals ein Schwert g e schwungen habe?“
    Moir befreite sich aus Elspeths Armen und starrte gegen den Wind, wo Schwarzflügler aller Größen in Spiralen zu den Kli p pen hinunterkreisten. Die lauten Lebensgeräusche in den Ma r schen waren erstorben; dichter Nebel stieg aus den großen, gli t zernden Teichen im Norden hoch und rollte mit Wind auf die beiden Menschen zu. Bald würde man nicht mehr viel sehen können. Eine Stunde vielleicht, vie l leicht auch weniger.
    Moir fuhr durch ihr Bauchhaar, teilte es und wandte sich zu Elspeth um. „Es tut manchmal noch sehr weh“, sagte sie, und Elspeth sah die breite, häßliche Narbe, die quer über den Nabel des Mädchens lief. Es war eine alte Narbe, gut ve r heilt, doch die Wunde war tief gewesen und mußte dem Mädchen schreckliche Schmerzen verursacht haben, als sie geschlagen wurde.
    Elspeth suchte in Moirs ernstem Gesicht nach einer Erkl ä rung. „Als ich knapp halb so alt war wie jetzt, noch fast ein Baby, hatte meine Mutter ein Duell mit der ‚festen Frau’ des Mannes, der meinen Vater getötet hatte. Ich war bei diesem Kampf auf dem Rücken meiner Mutter festgebunden. Sie war eine große Jägerin, sehr geübt in den Waffen, auch im Duell sehr erfahren; aber diesmal verlor sie. Die andere rannte ihr das Schwert durch den Leib, und die Klinge ve r letzte auch mich. Meine Mutter starb, ich blieb am Leben. Der Kampfgeist meiner Mutter ging auf mich über, als unser Blut sich bei ihrem Tode mischte, und Iondai sa g te, ich würde eine große Kriegerin werden. Das Orakel bestätigte seine Voraussage. Ich war der Stolz meiner Familie. Ich hä t te eine große Kriegerin werden müssen.“
    „Aber warum hast du dann nicht gekämpft?“
    „Weil ich wußte, ich würde gewinnen! Ich bin noch keine richt i ge Kriegerin, aber sobald ich dich getötet hätte, wäre ich ohne weiteres anerkannt worden. Kein kompliziertes Ritual, keine großen Prüfungen. Dein Tod wäre die Erfü l lung der Voraussage gewesen. Wenn ich gefallen wäre … Elspeth, du hättest mich nicht töten können! Das Orakel irrt sich nie! Und ich wollte dich nicht töten, wirklich nicht.“ Die Augen wurden ihr wieder naß.
    „Nicht weinen, Moir!“ Elspeth hockte sich bei der Kle i nen nieder, so daß sie aufschauen mußte, um ihr in die A u gen zu sehen. „Wenn das Orakel einmal gesagt hat, daß es dir b e stimmt ist, eine große Frau zu werden, dann gilt das auch jetzt noch. Das Orakel irrt sich nie, wie du selbst gesagt hast.“
    „Niemals“, erwiderte das Mädchen ruhiger. „Aber vie l leicht hat Iondai den Spruch falsch verstanden. Vielleicht lag es auch an

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