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Erdwind

Erdwind

Titel: Erdwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Holdstock
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Wangen, den schwach zuckenden Mund sehen konnte. Moir hatte die Arme g e schlossen, die Arme um die Knie geschlungen. Sie schwan k te vor und zurück, manchmal fast u n merklich; dann, wenn sie lauter sang, an den Höhepunkten, wu r de die Bewegung übermäßig stark. Der Wind spielte in der dic h ten Behaarung ihrer Beine, blies ihr die Ha a re waagerecht nach hinten weg. Pflanzenteile und Schmutz hafteten in den gelben Strähnen, ihre Haut war mit Schmutz verschmiert, Blut verklebte den Schmutz auf Gesicht und Armen. Sie war schlimm verpr ü gelt worden.
    Das Lied klang furchtbar. Es lief in jammernden Seque n zen, von denen Elspeth manche wiederzuerkennen glaubte, aber Moir sang sie so schlecht, daß es unmöglich war zu sagen, ob Moir hier einen neuen Gesang erfunden hatte oder nur das alte Stück so sang, wie es ihren derzeitigen Gefühlen entsprach.
    Die aufsteigenden Halbtöne, die den Steingeistern von des Sä n gers Traurigkeit berichten. Der dreifache Triller, ganz hi n ten in der Kehle, der mit dem Schicksal haderte. Die wiede r holte Note mit dem zweitönigen Triller vor und nach der S e quenz, die dem Felsen, neben dem sie saß, die Trauer der F a milie verkündete: Der Fels sog die Melodie ein und leitete die Trauer an die Erde weiter. Die Erde sang mit Moir, Licht und Wolken tanzten rhythmisch, aber ohne Sinn über den Himmel und das leere Land, dunkle Schatten hüp f ten über die Ebene, bedeckten Moir und verließen sie gleich wieder.
    Moirs Klagelied endete abrupt, als ein tiefes Brummen die Stille über den Büschen zerriß. Die beiden Frauen blic k ten in die Ebene hinaus, dorthin, wo das Land des Tange l krauts, der Felsen und der Schwarzflügler in das tiefe, nasse Moor übe r ging – tausend Meilen unpassierbaren Sumpfes, Teiche und Schlamm, blu b bernd und zischend – eine sanfte Einladung zum Selbstmord.
    Hoch aufgerichtet spähte Elspeth in die schleierige Ferne. Wieder kam das Brummen, das plötzliche ohrenbetäubende Ausatmen eines der großen Leviathane, die in den tieferen, absolut unz u gänglichen Teilen des Moors lebten. Dieses Tier, vermutlich ein Weibchen (oder ein Tier in seiner vor ü bergehenden weiblichen Phase), war an den Rand geko m men und tummelte sich zwischen den hornhäutigen me n schenfressenden Bestien, die in Rudeln näher an das hoc h gelegene Land herankamen, jedoch niemals den festen B o den betraten, sondern die Kreaturen terrorisierten, die am Rande des Moores jagten – oder Augen und Hände der En t ehrten fraßen.
    Elspeth sah, wie sich der dreigegliederte Leib des Sa u riers l e thargisch faul aus dem saugenden Moor erhob und ein ko m plexes Luft- und Schattenmuster warf. Zwei- oder dreihundert Fuß war das Monstrum hoch, grau, schattenhaft, unbestimmt unter dem Schleier von Schleim und Dunst, der seinen Leib einhüllte. Vie l gliedrige Krakenarme tasteten und griffen nach jedem Stamm und Stengel, das Licht brach sich auf den durchsichtigen Scheiben über den weitauseinande r stehenden ries i gen Augen. Wieder ein Brummen, und das verspielte Monstrum sank ins Moor z u rück.
    Die Schwarzflügler in der Nähe kreischten vor Wut (oder panischem Schrecken) und sausten mit flatterndem Schwi n ge n schlag hoch und hinweg. Weit hinten im Tal vernahm Elspeth den Zor n ruf eines Mannes.
    „Er wird wohl nicht viel Glück haben“, sagte sie lachend, denn sie hatte Darrens Stimme erkannt, der so wütend g e schrien hatte. Moir sprang beinahe senkrecht hoch vor Schre c ken beim Klang von Elspeths Stimme. Obgleich Elspeth schon eine ganze Weile neben ihr stand, hatte Moir nicht gemerkt, daß sie nicht mehr allein war.
    „Ich bin es nur“, sagte Elspeth verlegen.
    Aus Moirs Gesicht war nicht zu entnehmen, was sie vo r hatte. Sie sah aus, als wolle sie entweder sofort in Tränen ausbrechen oder Elspeth an die Kehle springen. Aber sie bückte sich plöt z lich, nahm einen kleinen Lederbeutel auf, drehte sich kurz um und rannte auf das ferne Marschland zu. Wenn sie auf ein Knäuel Tangelkraut trat, bogen sich ei n zelne Stränge faul nach oben und faßten nach der Körpe r wärme; sie mochten sie wohl für einen Schwarzflügler ha l ten.
    „Moir, warte doch!“ rief Elspeth, doch das Mädchen rannte we i ter. Elspeth fluchte leise und rannte hinterher. Sie hätte das Re n nen verloren, wäre Moir nicht gestolpert und kopfüber in einen Klumpen Tangelkraut gefallen, aus dessen offensichtlich lieb e vollen Ranken sie sich nicht so leicht befreien konnte. Elspeth kam

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