Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel
denn irgendwelche Vorschläge?«
Thod warf einen Blick auf Morgon.
»Ich schlage vor, Ihr schickt nach der Leibärztin des Königs.«
»Thod - «
»Wir können beide nichts anderes tun als warten. Und wachen. Morgon ist krank. Er sollte keinen Moment allein gelassen werden.«
In dem mageren, farblosen Gesicht lockerte sich etwas. Mit einer brüsken Bewegung stand Astrin auf.
»Ich hole Rork. Er kann mit uns wachen. Mag sein, daß er mir nicht glaubt, aber er kennt mich immerhin so gut, daß ihm bei der ganzen Sache nicht recht behaglich ist.«
Die Leibärztin des Königs, Frau Anoth, eine alte, vertrauenerweckende Frau mit nüchterner Stimme, untersuchte Morgon nur kurz. Ohne auf seine Widerreden einzugehen, gab sie ihm etwas, das ihn in einen tiefen Schlaf der Betäubung versenkte. Stunden später erwachte er benommen, von innerer Rastlosigkeit getrieben. Astrin, der geblieben war, um bei ihm zu wachen, war erschöpft am Feuer eingeschlafen. Morgon betrachtete ihn ein Weilchen, hätte gern mit ihm geredet, ließ ihn aber dann weiterschlafen.
Seine Gedanken wanderten zu der Harfe im Saal; wieder hörte er ihren leichten, satten Klang, spürte die straffgespannte, feingestimmten Saiten unter seinen Fingern. Ein Gedanke schoß ihm plötzlich durch den Kopf, eine Frage, was es mit der Zeitlosigkeit, dem Zauber dieser Harfe, auf sich habe. Leicht schwankend stand er auf, hüllte sich in den Pelz des Bettes und glitt geräuschlos aus dem Gemach.
Der Gang war leer und verlassen; das Licht der Fackeln flak- kerte über die zugesperrten Gesichter verschlossener Türen. Wie von sicherer Hand geführt, fand er den Weg zu einer Treppe, die in den großen Saal hinunterführte.
Die Sterne leuchteten wie Augen in der Düsternis. Er berührte die Harfe, hob sie vom Tisch. Sie war unerwartet leicht trotz ihrer Größe. Das feine Filigran von Gold brannte unter seinen Fingern. Er berührte eine Saite, und bei dem wohlklingenden, einsam schwebenden Ton lächelte er. Plötzlich überkam ihn ein Hustenanfall, und er grub sein Gesicht in den Pelz, um das Geräusch zu ersticken.
Eine erstaunte Stimme hinter ihm sagte: »Morgon!«
Mit schlaffem Gesicht, vom quälenden Husten erschöpft, richtete er sich auf.
Eriel Ymris kam die Treppe herunter, gefolgt von einem
Mädchen mit einer Fackel. Still schritt sie ihm durch den langen Saal entgegen. Sie sah sehr jung aus mit dem gelösten Haar.
»Astrin sagte mir, Ihr wäret tot«, bemerkte er mit forschendem Blick.
Sie blieb stehen. Er konnte den Ausdruck in ihren Augen nicht deuten.
Dann sagte sie gelassen: »Nein. Ihr seid tot.«
Seine Hand bewegte sich leicht auf der Harfe. Von irgendwoher, zu fern, um ihn aufzustören, schrie etwas in ihm eine Warnung. Er schüttelte den Kopf.
»Noch nicht. Wer seid Ihr? Seid Ihr Madir? Nein, sie ist tot. Und sie tötete keine Vögel. Seid Ihr Nun?«
»Auch Nun ist tot.« Sie betrachtete ihn mit reglosem Blick, glühenden Feuerschein in den Augen. »Ihr geht nicht weit genug zurück, Herr! Geht zurück, so weit Eure Gedanken Euch führen, zurück zu dem frühesten Rätsel, das gestellt wurde, und ich bin noch älter.«
Er lenkte seine Gedanken nach rückwärts, wanderte von Rätsel zu Rätsel, doch er fand sie nirgends.
Ungläubig sagte er: »Es gibt Euch nicht in den Büchern der Großmeister - nicht einmal in den Büchern der Zauberkunst, die entschlüsselt wurden. Wer seid Ihr?«
»Der Weise kann seinem Feind einen Namen geben.«
»Der Weise weiß, daß er Feinde hat«, versetzte er ein wenig bitter. »Was ist der Grund? Sind es die Sterne? Würde es etwas ändern, wenn ich Euch sagte, daß nicht ein Funken des Verlangens in mir brennt, Euch zu bekämpfen; ich habe nur den Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden, um Hed in Frieden zu regieren.«
»Dann hättet Ihr Euer Land nicht verlassen dürfen, um in Caithnard alten Rätseln nachzuspüren. Der Weise kennt seinen eignen Namen. Ihr kennt meinen Namen nicht; Ihr kennt Euren eigenen Namen nicht. Es ist besser für mich, wenn Ihr so sterbt, unwissend.«
»Aber warum?« fragte er verwirrt, und sie trat einen Schritt auf ihn zu.
Das junge Mädchen an ihrer Seite verwandelte sich plötzlich in einen kräftigen, rothaarigen Händler mit einer wulstigen Narbe im Gesicht. Statt der Fackel schwang er ein Schwert aus dünnem, aschgrauem Metall. Morgon wich zurück, stieß mit dem Rücken gegen die Mauer. Er sah, wie das Schwert emporgeschwungen wurde, langsam, wie in einem Traum. Brennend
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